Der Alchimist von Krumau
dort hinausgezogen, in den Wald vor den Toren der Stadt?«
Sie beugte sich ein wenig vor und sah ihn eindringlich an.
»Der Nabellose. Er wollte hinab zur Moldau, an den Ort, wo die Büttel ihn vor Wochen aufgegriffen haben, und vom Fluss aus zog es ihn immer weiter in den Wald.«
»Und an der heißen Quelle fandet Ihr und Flor dann den Flößersohn?«
Markéta nickte, die Augen zu Schlitzen verengt. Es war ein schrecklicher Anblick, berichtete sie, und ihre Stimme klang auf einmal brüchig. Zuerst hatte sie Nico überhaupt nicht erkannt; durch den Wasserdampf, der von der Quelle aufstieg, hatte sie nur einen Schemen wahrgenommen, die Umrisse eines Menschen, der sich verzweifelt bemühte, aus dem Felsloch voll kochenden Wassers zu klettern. Flor hatte sich an sie geklammert und zu schreien begonnen, erst nach einigen Augenblicken, als sie den Nabellosen ein wenig beruhigt hatte, konnte sie ihn über die kleine Lichtung bis zur Quelle ziehen. Am Rand des Felslochs ging sie in die Knie und wollte schon die rettende Hand ausstrecken, als sie mit einem Mal zweierlei bemerkte: Der Mensch in der heißen Quelle war Nico, und er war über und über blutig rot, sein Gesicht, Schultern und Arme, sein ganzer Körper, soweit er im Wasserdampf zu erkennen war. Seine Ellbogen waren auf den Felsrand der Quelle gestemmt, als ob er bis zuletzt versucht hätte, sich aus dem tödlichen Schlund zu ziehen, sein Kopf war zur Seite gesunken und auf einen Arm gebettet, als ob er schliefe. Aber er war tot, berichtete Markéta mit gepresster Stimme, der Leichnam verbrüht und aufgedunsen, die Haut am ganzen Leib wellig und wundrot.
»Er trug keinen Fetzen am Leib«, sagte sie endlich, »und auf der Lichtung war von seinen Kleidern keine Spur zu sehen. Und das Entsetzen in seinem Gesicht, Monsieur …« Sie verstummte und sah an d’Alembert vorbei, dann schloss sie mit festerer Stimme: »Was immer Eure Untersuchung ergeben wird, Maître: Ich bin überzeugt davon, dass Nicodemus Kudaçek nicht da unten im Wald umgekommen ist, durch einen versehentlichen Sturz in die Quelle, sondern hier oben, in Hezilows Labor.«
Ich bewundere Eure Klugheit und Euren Mut, Madame, dachte d’Alembert, schlug ein Bein übers andere und wippte zierlich mit seinem Schnabelschuh. »Die Wahrheit ist wie ein starkes Gewürz«, deklamierte er. »Es liegt an uns selbst, ob wir die Speisen unseres Lebens verfeinern oder verwürzen.«
Ihr Gesicht wurde finster. »Ihr zieht also die schmackhafte Lüge vor, wenn ich recht versteh?«
»Eine anfechtbare Auslegung, chère madame. Ein unbeteiligter Zuhörer könnte die Sentenz auch auf Euch beziehen.«
»Auf mich?«, echote Markéta und sah ihn mit so aufrichtiger Ratlosigkeit an, dass der Maître beinahe aufgelacht hätte, ein bitteres Lachen, günstigstenfalls.
»On verra, madame«, sagte er. »Ihr wart doch wohl so umsichtig, Euren Verdacht für Euch zu behalten?«
Wieder funkelte sie ihn an. »Ich hab die Büttel gerufen, damit sie den Leichnam aus dem Wasser ziehn«, sagte sie. »Aber ich wollt mich als Erstes mit Euch besprechen, Monsieur, weil ich annahm, dass auch Ihr …« Unvermittelt brach sie ab, ihr Blick wurde unstet.
Weil Ihr annahmt, dass auch ich Hezilow zu vernichten versuche, dachte der Maître, wolltet Ihr das andeuten, Madame? Im Grunde hatte sie auch damit vollkommen Recht, nur in diesem speziellen Fall lagen die Dinge eben ein wenig anders.
»Das war sehr weise von Euch«, sagte er. »Fünf Tage vor dem Besuch des Kaisers kann und darf es hier in Krumau keine Mordaffäre geben, allenfalls einen bedauerlichen Unglücksfall. Danach aber …« Er ließ sein Stöckchen durch die Luft wirbeln.
»Dann werden wir den Dingen energisch auf den Grund gehen, Madame, das verspreche ich Euch.«
Markétas Blick ging noch immer an ihm vorbei, doch ihr Gesichtsausdruck hatte sich gänzlich verändert. »Am Samstag«, sagte sie in hoffnungsvollem Ton, »wenn die väterliche Majestät uns besucht, könnt Julius ihm ja seine künftige Gemahlin vorstellen.«
Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte d’Alembert. »Ein recht hübscher Plan«, lobte er, »den Ihr nur vorderhand nicht weiterverfolgen solltet.« Er lächelte sie voll ehrlicher Zuneigung an. »Ich bitte Euch, Madame, Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass Johanna von Waldstein sich so einfach aus dem Feld schlagen ließe?«
»Johanna?« Markéta schob das Kinn vor. »Bisher hab ich keine Haarspitze von der Holden zu sehen bekommen. Bronja und
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