Der Alchimist von Krumau
meine Seele mir zuschreien, seit ich den Lumpenkerl zum ersten Mal sah?
Einzig diese Frage war von Belang, wie der Maître immer klarer erkannte, während er wiederum vor dem mittleren Fenster innehielt, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Eine Frage, die kein Späher, auch keine Katharina da Strada für ihn beantworten konnte, eine Frage, die ihn innerlich zu zerreißen drohte und die doch kaum mehr Aufschub duldete. Falls Hezilow in fünf Tagen vor den Augen des Kaisers triumphierte – würde dann nicht er, Maître d’Alembert, unweigerlich auch seinen allerletzten Einfluss auf den Kaiserbastard verlieren? Und falls der Russe sich bei der so auftrumpfend angekündigten Goldprobe als Betrüger erwiese – hieße das nicht für Rudolf, dass er, Maître d’Alembert, unfähig war, seinen Sohn Julius vor verderblichem Einfluss zu bewahren?
Natürlich konnte er nicht dafür sorgen, dass sich in Hezilows Tiegel am kommenden Samstag tatsächlich Blei in Gold verwandelte – oder Dreck eben Dreck blieb, je nachdem. Aber mit Hilfe von Katharina da Strada konnte er durchaus Meinung und Geneigtheit der kaiserlichen Alchimisten beeinflussen, die anschließend prüfen würden, ob es sich bei der Substanz aus Hezilows Retorte um wahres Gold handelte oder bloß um funkelnden Tand.
Worauf also sollte er setzen – auf Hezilow den Erleuchteten oder auf den zerlumpten Scharlatan? Auf glanzvollen Sieg des Puppenmachers oder auf seinen schmählichen Untergang? Aber hatte er sich denn nicht schon Hunderte Male an der Vorstellung gekräftigt, dass Hezilow und er eine verwickelte Schachpartie spielten – der Russe mit den schwarzen, er selbst mit den weißen Spielfiguren? Wie also konnte er dann darauf hoffen, dass er selbst und sein Schützling Julius aus dem Sieg ihres schwarzen Gegenspielers irgendwelche Vorteile zögen?
Außerstande, eine Entscheidung zu treffen, die zumindest ihn selbst länger als für ein paar Augenblicke überzeugen könnte, wandte sich d’Alembert abermals um, in der Absicht, seinen Marsch durch den Salon wieder aufzunehmen.
Die beiden Syrakuser saßen noch immer regungslos auf dem Sofa, die Arme verschränkt, mit glühenden Augen jede seiner Bewegungen verfolgend.
Einer plötzlichen Eingebung gehorchend, trat d’Alembert zu ihnen, fasste Lenka beim Arm und zog sie hoch. »Geh«, sagte er, »und komm mir erst wieder unter die Augen, wenn du meine Frage beantworten willst.«
Er legte ihr seinen Arm um die Schultern, als wollte er sie an sich drücken, schob sie aber im Gegenteil von sich fort, auf die Tür zu. Auch Fabrio wollte aufspringen, doch d’Alembert bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, sitzen zu bleiben, wo er saß.
Schweigend sahen sie beide zu, wie Lenka mit gesenktem Köpfchen davontrottete, die Tür öffnete und hinter sich zuzog, ohne sich noch einmal nach d’Alembert oder ihrem Bruder umzusehen.
»Du warst mit ihr dort unten, Fabrio«, behauptete d’Alembert, indem er sich neben dem Syrakuser aufs Sofa sinken ließ. »Und du hast auch gesehen, was ihr dort geschehen ist.«
Fabrio sah ihn unverwandt an, wortlos, die Lippen vorgeschoben. D’Alembert musste sich konzentrieren, damit er sich nicht versehentlich zu ihm hinüberbeugte, wie es in seinen Träumen so häufig geschah.
»Wenn deiner Schwester Gewalt angetan wurde, von Hezilow oder seinen Lumpenkerlen«, fuhr er fort, »solltest du mir das jetzt sagen. Und zwar zu deinem eigenen Besten.«
Der Junge zog die tintenschwarzen Brauen ein wenig zusammen, gab aber noch immer keine Antwort, ja nicht einmal ein Zeichen, dass er dem Maître zugehört hatte.
»Wenn sie einen dicken Bauch bekommt«, fuhr der mit absichtlicher Grobheit fort, »werden alle glauben, dass du deiner Schwester aufgehockt hast. Und dann werden Johanna von Waldstein und ihre heiligen Frauen veranlassen, dass Lenka und du in Waisenhäusern verschwindet. Sie wird euch trennen, Fabrio« – »uns trennen«, hätte er beinahe gesagt – »und ich kann dann nichts mehr für euch tun.«
Fabrio sog scharf den Atem ein, sein Gesicht verzerrte sich vor Angst. Im nächsten Moment flog er Charles an den Hals. »Nicht trennen«, flüsterte er, »bitte, bitte nicht!«
Wie versteinert saß der Maître da. Den Gegenstand seiner zehrendsten Träume in den Armen, wagte er nicht, auch nur einen Finger zu bewegen, aus Angst, dass Fabrio sich als bloßer Spuk erweisen würde oder, im Gegenteil, als allzu leibeswarme Wirklichkeit. »Nicht, wenn ich es verhindern kann«,
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