Der Alchimist
wir aber verlernt haben. Nun bin ich unter anderem auf der Suche nach dieser universellen Zeichensprache. Deshalb bin ich hier. Ich muß einen Mann aufsuchen, der diese Sprache beherrscht. Einen Alchimisten.« Die Unterhaltung wurde vom Chef des Lagerhauses unterbrochen. »Ihr habt Glück«, sagte der dicke Araber. »Heute nachmittag zieht eine Karawane nach El-Fayum los.« »Aber ich will nach Ägypten«, entgegnete der Jüngling. »El-Fayum liegt doch in Ägypten«, bemerkte der Chef. »Was bist du nur für ein Araber?« Hierauf erwiderte der Jüngling, daß er Spanier sei. Dies erfreute den Engländer: Denn obwohl er wie ein Araber gekleidet war, so war der Jüngling doch immerhin Europäer.
»Der sagt >Glück<, wenn er von Zeichen spricht«, bemerkte der Engländer, als der Dicke gegangen war. »Wenn ich könnte, würde ich eine große Enzyklopädie über die Worte >Glück< und >Zufall verfassen. Denn diese Worte sind Teil der universellen Sprache.« Danach erklärte er dem Jüngling, es sei kein Zufall, daß er ihn mit Urim und Thummim in der Hand angetroffen habe. Er fragte ihn, ob er sich auch auf der Suche nach dem Alchimisten befände.
»Ich bin auf der Suche nach einem Schatz«, antwortete der Jüngling, doch im gleichen Augenblick bereute er es. Aber der Engländer hatte es nicht beachtet.
»Ich auch, in gewisser Weise«, sagte er.
»Und eigentlich weiß ich nicht einmal, was Alchimie bedeutet«, ergänzte der Jüngling, als sie der Chef des Lagerraumes herausrief.
8
»Ich bin der Anführer der Karawane«, sagte ein Herr mit langem Bart und dunklen Augen. »Somit trage ich die Verantwortung über Leben und Tod jedes einzelnen. Denn die Wüste ist wie eine launische Frau und treibt die Menschen manchmal in den Wahnsinn.« Es waren fast zweihundert Menschen und das Doppelte an Tieren versammelt. Es gab Kamele, Pferde, Esel und Vögel. Es gab Frauen, Kinder und einige Männer mit Säbeln am Gürtel oder langen Gewehren auf den Schultern. Der Engländer führte mehrere Kisten voller Bücher mit sich. Ein gewaltiges Gemurmel erfüllte den Platz, und der Anführer mußte seine Worte mehrmals wiederholen, bis alle sie verstanden. »Hier gibt es die unterschiedlichsten Menschen, die verschiedene Götter in ihren Herzen verehren. Aber mein einziger Gott ist Allah, und bei ihm schwöre ich, daß ich mein möglichstes tun und mein Bestes geben werde, um auch diesmal die Wüste wieder zu bezwingen. Nun möchte ich, daß jeder von euch im Namen seines Gottes schwört, daß er mir unter allen Umständen bedingungslos gehorchen wird. Denn in der Wüste kann Ungehorsam den Tod bedeuten.« Ein allgemeines Gemurmel setzte ein, denn ein jeder schwor Gehorsam im Namen seines Gottes. Der Jüngling schwor bei Jesus Christus. Der Engländer schwieg. Das Gemurmel hielt noch eine Weile an, weil die Leute auch um den Schutz des Himmels baten.
Dann ertönte ein langer Hornton, und jeder bestieg sein Tier. Sowohl der Jüngling als auch der Engländer hatten sich Kamele zugelegt und bestiegen sie mit einiger Mühe. Dem Jüngling tat das Kamel des Engländers leid, weil es mit schweren Bücherkisten beladen war. »Es gibt keine Zufälle«, sagte der Engländer und versuchte das Gespräch aus dem Lagerraum fortzusetzen. »Es war ein Bekannter, der mich hierherführte, weil er einen Araber kannte, der...« Aber die Karawane setzte sich in Bewegung, so daß es unmöglich wurde, den Engländer zu verstehen. Doch der Jüngling wußte, um was es sich handelte: die geheimnisvolle Kette, in der ein Ereignis mit dem nächsten zusammenhing, die ihn Hirte werden und ihn dann den gleichen Traum mehrmals träumen ließ, die ihn in eine Stadt nahe bei Afrika führte, um einem König zu begegnen, die bewirkte, daß man ihn beraubte, damit er einen Kristallwarenhändler kennenlernte, um dann... >Je näher man an seinen Traum herankommt, um so mehr wird der persönliche Lebensweg zum eigentlichen Lebensziel, dachte der Jüngling.
9
Die Karawane machte sich in Richtung Sonnenaufgang auf den Weg. Sie reiste vormittags, machte Pause, wenn die Sonne am höchsten stand, und zog nachmittags weiter. Der Jüngling unterhielt sich wenig mit dem Engländer, da dieser die meiste Zeit mit seinen Büchern beschäftigt war.
So begann er, schweigend den Marsch der Tiere und der Menschen durch die Wüste zu beobachten. Jetzt war alles ganz anders als am Tag der Abreise: An jenem Tag war ein heilloses Durcheinander und Geschrei; Kinderweinen und das Schreien
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