Der Alchimist
abreisen«, eröffnete ihm der Jüngling. »Ich habe jetzt genug Geld, um meine Schafe zurückzukaufen. Und Sie genug, um nach Mekka zu pilgern.« Der Alte blieb stumm.
»Bitte gebt mir Euren Segen«, bat der Junge. »Ihr habt mir sehr geholfen.« Der Alte rührte stumm in seinem Tee. Endlich wandte er sich dem Jüngling zu und sagte: »Ich bin stolz auf dich, mein Junge. Du hast meinem Kristallglasgeschäft eine Seele verliehen. Aber du weißt, daß ich nicht nach Mekka gehe. Ebenso wie du weißt, daß du keine Schafe kaufen wirst.« »Wer sagt das?« fragte der Jüngling erschrocken. »Maktub« war alles, was der Kristallwarenhändler erwiderte. Und er segnete ihn.
5
Der Jüngling ging auf sein Zimmer und suchte alles, was er besaß, zusammen. Es ergab drei Beutel voll. Als er gerade im Begriff war zu gehen, bemerkte er seinen alten Hirtenrucksack in einer Ecke des Zimmers. Er erkannte ihn kaum wieder, so abgewetzt sah er aus. Darin waren noch das dicke Buch und der Mantel. Als er den Mantel herausnahm, um ihn irgendeinem Straßenjungen zu schenken, fielen die beiden Steine zu Boden. Urim und Thummim.
Nun erinnerte er sich wieder an den alten König und bemerkte überrascht, wie lange er schon nicht mehr an ihn gedacht hatte. Seit einem Jahr war er bloß noch mit Geldverdienen beschäftigt gewesen, um nur ja nicht als Versager nach Spanien zurückkehren zu müssen.
»Gib nie deine Träume auf«, hatte der Alte gesagt, »folge den Zeichen.« Der Jüngling hob die beiden Steine auf und hatte dabei wieder das seltsame Gefühl, daß sich der alte König in der Nähe befände. Ein Jahr lang hatte er hart gearbeitet, und nun deuteten die Zeichen darauf hin, daß es an der Zeit sei abzureisen.
>Jetzt werde ich wieder genau das gleiche sein wie früher, dachte er. >Dabei haben mir die Schafe kein Arabisch beigebracht.< Doch etwas viel Wichtigeres hatten ihn die Schafe gelehrt: daß es in der Welt eine Sprache gab, die jeder verstand und die der Jüngling die ganze Zeit über benutzt hatte, um das Geschäft zu beleben. Es war die Sprache der Begeisterung, des Einsatzes mit Liebe und Hingabe für die Dinge, an die man glaubt oder die man sich wünscht. Tanger war für ihn keine fremdartige Stadt mehr, und er fühlte, daß er die ganze Welt erobern könnte, auf die gleiche Weise, wie er diesen Ort erobert hatte. »Wenn du etwas ganz fest willst, wird das ganze Universum darauf hinwirken, daß du es verwirklichen kannst«, hatte der alte König behauptet. Doch hatte der König nicht von Überfällen gesprochen, von unendlichen Wüsten, von Menschen, die ihre Träume kennen, aber nicht verwirklichen wollen. Der König hatte auch nicht gesagt, daß die Pyramiden nur alte Steinhaufen seien und jeder sie in seinem Garten errichten könne. Und ebenfalls hatte er zu erwähnen vergessen, daß man, wenn man genügend Geld besaß, um eine größere Schafherde zu kaufen, es auch tun sollte. Der Jüngling nahm den Rucksack und tat ihn zu den anderen Beuteln. Er stieg die Treppe hinunter; der Händler bediente gerade ein ausländisches Paar, während zwei weitere Kunden durch den Laden schlenderten und Tee aus Kristallgläsern tranken. Für diese frühe Stunde war allerhand los. Von dem Platz aus, wo er sich jetzt befand, fiel ihm erstmals auf, daß das Haar des Händlers sehr an das Haar des alten Königs erinnerte. Nun entsann er sich des Lächelns jenes Süßwarenhändlers an seinem ersten Tag, als er nicht wußte, wohin, und nichts zu essen hatte; auch sein Lächeln hatte dem des alten Königs geglichen.
>Als ob er hier gewesen wäre, um seine Spur zu hinterlassen, überlegte er. >Als ob jeder Mensch irgendwann in seinem Leben eine Begegnung mit diesem König hätte. Immerhin sagte er doch, daß er immer demjenigen erscheine, der seinem persönlichen Lebensweg folgt.< Er ging, ohne sich von dem Kristallwarenhändler zu verabschieden. Denn er wollte nicht weinen, damit die Leute seinen Schmerz nicht sehen könnten. Aber sicherlich würde er diese Zeit und all die Dinge, die er gelernt hatte, in guter Erinnerung behalten. Nun besaß er mehr Selbstvertrauen und wollte die Welt erobern.
>Dennoch kehre ich zu der Gegend zurück, die ich bereits kenne, um wieder Schafe zu weiden.< Und dieser Gedanke gefiel ihm plötzlich gar nicht mehr. Er hatte ein ganzes Jahr lang gearbeitet, um sich diesen Traum zu erfüllen, doch nun verblaßte dieser von Minute zu Minute. Vielleicht war es ja gar nicht sein Wunschtraum.
>Wer weiß, ob es nicht
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