Der Algebraist
ganz begriffen, was es mit dem Riesenschiff, das binnen
eines Lidschlags ganze Flotten zerstören konnte,
tatsächlich auf sich hatte. Wer war für diesen
Maschinenkoloss verantwortlich? Welche bislang unbekannten
gesellschaftlichen Strukturen, welche ungeheuerlichen
Produktionskapazitäten in der Dweller-Zivilisation konnten eine
so erschreckende Waffe einfach aus dem Hut zaubern? War diese Kugel
einmalig? Gab es sie nur auf Nasqueron? Du meine Güte,
angenommen, sie wäre Teil einer Flotte? Musste man aus
den Ereignissen schließen, dass all die geheimen Schiffe
und Hyperwaffen, mit denen die Dweller prahlten, tatsächlich
existierten? Könnten die Dweller von Nasqueron das E-5-Separat
einfach vom Himmel fegen, wenn sie wollten, und Ulubis vor der
Invasion bewahren? Könnten sie es jederzeit mit der Merkatoria
aufnehmen, wenn ihnen der Sinn danach stand? War die
Wahrscheinlichkeit, dass die Dweller-Liste echt war, jetzt
größer geworden? War die Liste doch nicht einfach nur ein
Witz, mit dem man seine Zeit verschwendete? Wie gerne hätte er
sich vor diesem Treffen eine Weile mit Setstyin allein unterhalten,
um zu erfahren, was seit ihrem letzten Gespräch geschehen war.
Auf jeden Fall würde er ihm einige dieser Fragen stellen
müssen, falls sich irgendeine Gelegenheit fände.
»Damit kommen wir«, sagte Drunisine, »zu der Frage,
wieso das Ulubis-Merkatoria-Separat es überhaupt für klug
oder einträglich hielt, auf diese Weise und in solcher Zahl in
Nasqueron einzufallen. Hat jemand dazu etwas zu sagen?« Der
greise Dweller schaute in die Runde.
»Es könnte vielleicht mit mir zu tun haben«,
gestand Fassin.
»Mit dir, Seher Taak?«, fragte Drunisine.
»Ich wurde hierher geschickt, um eine Information zu
beschaffen.«
»Und dazu brauchtest du gleich die Hilfe einer kleinen
Kriegsflotte?«
»Nein. Aber meine Auftraggeber dachten vielleicht, ich
wäre in Gefahr.«
»Durch wen?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wir sprechen also von einer Information, die für die
Merkatoria wertvoll genug ist, um einen Krieg anzufangen? Obwohl sie
in den nächsten Monaten oder Jahren ohnehin mit einer Invasion
zu rechnen hat? Es muss sich um eine sehr wichtige Information
handeln. Worum geht es? Können wir helfen?«
»Danke? Aber ich glaube, es dauert nicht mehr lange, bis ich
sie finde.«
»Aha«, sagte Valseir. »Das ist es also.«
»Was?«
»Die Geschichte mit der Mappe in dem verschlossenen
Behälter, den ich Chimilinith von Deilte persönlich
übergeben habe.«
»Und?«
»Sie stimmt nicht ganz.«
»Nicht ganz?«
»Nicht ganz.«
»Und wie viel davon stimmt?«
Valseir schaukelte ein wenig zurück und schien zu
überlegen. Überraschungsmuster huschten über seine
Signalhaut. »Eigentlich das meiste«, sagte er.
»Und was nicht?«, fragte Fassin geduldig.
»In dem verschlossenen Behälter war keine
Mappe.«
»Chimilinith hat die Information also nicht.«
»Richtig.«
»Ich verstehe.«
»Ich warte immer noch auf Aufklärung, worum es bei
dieser exemplarischen, wenn auch schwer zu fassenden Information
eigentlich geht«, sagte Drunisine mit einem frostigen Blick auf
Valseir.
Verdammte Scheiße, dachte Fassin. Wenn Valseir
ihnen sagt, was es ist, und diese Liste wirklich existiert, bringen
sie uns womöglich alle um.
Auf den Gedanken war offenbar auch Valseir gekommen.
»Angeblich ein Verfahren für überlichtschnelles
Reisen«, erklärte er dem greisen Commander.
Setstyins Panzer signalisierte Heiterkeit, doch die Muster
erloschen rasch. Drunisine wirkte so unbeeindruckt, wie ein alter
Dweller nur sein konnte. »Wie bitte?«, fragte er nur.
»Ein uralter Zusatz zu einem noch älteren Buch –
das Seher Taak vor zweihundert Jahren während eines
›Trips‹, wie solche Ausflüge bei den
›Schnellen‹ genannt werden, hier eintauschte –
erwähnt eine Methode, ohne Adjutage und Cannula SAL zu
reisen«, sagte Valseir. Fassin verstand. Der Alte hatte die
Dweller-Begriffe für Portale und Wurmlöcher verwendet. Und
seine Stimme hatte – hoffentlich – genau die richtige
Mischung aus Beschämung und Sarkasmus zum Ausdruck gebracht.
»Seher Taak wurde hierher geschicktem eine genauere Beschreibung
dieser… äh… unwahrscheinlichen Technologie zu
finden.«
»Tatsächlich?« Drunisine sah Fassin an.
»Algebra«, entfuhr es dem Seher.
»Algebra?«, fragte Drunisine.
»Die Daten sehen angeblich aus wie algebraische
Formeln«, sagte Fassin. »Formeln zur Beschreibung eines
Warp-Antriebs, eines Verfahrens
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