Der Algebraist
Fassin zurück, aber er war nicht
überzeugt.
Das große Kugelschiff Isaut schwebte tief in einer
Gasstromwolke und bewegte sich schnell vorwärts, ohne dass man
etwas davon bemerkt hätte. Es hatte sich in den brodelnden
Sturmboden aus trägem Gas gesenkt, sobald Fassin und die anderen
an Bord gekommen waren. Sinkend, sich weiterschlängelnd und
wieder leicht steigend hatte es das Wetterband der Zone Zwei erreicht
und sich rasch an dessen Geschwindigkeit angeglichen. Als nun der
Abend in die Nacht überging, befand es sich fünfhundert
Kilometer von dem Sturm entfernt, wo die Schlacht stattgefunden
hatte, und vergrößerte diesen Abstand mit jeder Stunde um
weitere dreihundert Kilometer.
Fassin, Y’sul, Valseir und Setstyin schwebten unweit von
Colonel Hatherences Leichnam über einer schmalen Plattform am
Äquator des großen Schiffs. Das schwache Licht und die
noch schwächere Brise verliehen der Szene eine Atmosphäre
von stiller Schwermut, die dem Anlass angemessen war. Man hatte den
zerrissenen, verbrannten Körper des Colonels mit hunderten von
anderen Toten auf der Ebene gefunden, wo sich die Dweller-Leichen
gewöhnlich sammelten. Der ihre war etwas weiter oben zur Ruhe
gekommen, wo sonst die kinder lagen.
Wenn man die Dweller-Leichen sich selbst überließ,
gasten sie aus, gewannen an Dichte und versanken, der Atmosphäre
ausgesetzt, irgendwann vollends in den Tiefen. Der Respekt verlangte
jedoch, einen toten Verwandten entweder zu Hause in einem besonderen
Trauerraum aufzubahren und so lange verwesen zu lassen, bis die
Dichte hoch genug war, um ein schnelles Versinken in den
Flüssigwasserstoff sehr viel weiter unten zu gewährleisten,
oder – wenn die Zeit drängte – den Leichnam zu
beschweren und ihn so den Tiefen zu übergeben.
Hatherence hatte hier keine Familie. Es gab in ganz Nasqueron
nicht einmal einen zweiten Angehörigen ihrer Spezies, und so
hatte man Fassin – immerhin wie sie ein Alien – die
Verantwortung für ihre sterblichen Überreste
übertragen. Er hatte es vorgezogen, ihren Leichnam rasch in die
Tiefen sinken zu lassen, anstatt ihn zu konservieren und an die
Justitiarität oder an etwaige Familienangehörige im
Ulubis-System zu übergeben. Dabei hätte er nicht einmal
sagen können, warum er so dachte. Die ›Wahrheit‹
verlangte keinen speziellen Totenkult, und so weit er wusste, legten
auch die Oerileithe keinen besonderen Wert darauf, ihre Toten von
weither zurückzuholen. Doch selbst wenn es anders gewesen
wäre, hätte er dieses Verfahren befürwortet. Die
Dweller hielten diese Art der Entsorgung wohl vor allem für
verwaltungsfreundlich, vielleicht auch für besonders sauber und
ordentlich. Für ihn war es mehr.
Fassin schaute hinab auf den Alien-Körper in seinem Sarg aus
Meteoreisen – schmal und dunkel, von der Form her zwischen einem
Manta und einem Riesenseestern. Eisen war für die Dweller aus
sentimentalen und zeremoniellen Gründen von jeher ein halbedles
Metall. Sie betrachteten diese Form der Beisetzung vermutlich als
große Ehre für Hatherence. Im schwindenden Licht wirkten
die zerrupften Überreste, ohnehin schon dunkel, dann durch den
tödlichen Strahl noch schwärzer verbrannt, wie
Schattenfetzen.
Fassin stiegen unter dem Schockgel die Tränen in die Augen.
Das Gasschiffchen war auch für ihn wie ein kleiner Sarg, der ihn
bei lebendigem Leibe umschloss. Er wusste, dass er in den
animalischen Tiefen seines Bewusstseins weniger um den gefallenen
Colonel der Ocula trauerte als um all die Menschen, die er in letzter
Zeit verloren hatte. Verloren, ohne dass er sie ein letztes Mal
gesehen hätte, und wäre es als Tote, verloren, ohne dass er
so ganz fassen konnte, dass sie nicht mehr waren, weil er zu weit
entfernt gewesen war, als es geschah, um zurückkehren und ihnen
in irgendeiner Form die letzte Ehre erweisen zu können, verloren
für den Verstand, aber nicht für die Gefühle, denn bis
zu diesem Moment sträubte sich etwas in ihm gegen die
Erkenntnis, dass er alle diese Verlorenen niemals wiedersehen
würde.
»Ich muss gestehen«, sagte Setstyin,»ich habe keine
Ahnung, mit welchen Worten man einem solchen Anlass gerecht werden
könnte. Wie steht es mit dir, Seher Taak?«
»Bei den f-Menschen gibt es die Redensart, wir kämen aus
dem Nichts und gingen ins Nichts, und dieses Nichts sei wie ein
Schatten, der das Leben in seiner Fülle hervorhebe und ihm
schärfere Konturen verleihe. Und bei den r-Menschen sagt man
noch etwas von Staub und
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