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Der Algebraist

Der Algebraist

Titel: Der Algebraist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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noch befriedigender als Sex.
    Sie schwebten jetzt antriebslos dahin, die Bremsphase war fast
abgeschlossen, nur einen letzten Schub galt es noch zu
überstehen, ein paar Tage, in denen man sich unangenehm schwer
fühlte. In einer Woche hätten sie das System erreicht und
könnten endlich zum Angriff übergehen. Bisher waren sie
kaum auf Widerstand gestoßen, zum Teil deshalb, weil sie einen
sehr hohen, steilen Kurs geflogen waren. Wenn jemand Minenwolken und
Drohnenschwärme ausgesetzt hätte, um sie aufzuhalten, dann
sicher auf den direkteren Anflugschneisen. Auf dieser längeren
aber sichereren Route waren sie bisher davon verschont geblieben. Die
einzige Gefahr hatte bei der Kurskorrektur auf halbem Wege vor
einigen subjektiven Jahren bestanden. Damals wären die Antriebe
der Flotte auf jedem Weltallüberwachungssystem in Ulubis zu
sehen gewesen, das in ihre Richtung zeigte. Das Risiko war gering
gewesen, und soweit man das feststellen konnte, waren sie unentdeckt
geblieben. Zumindest hatte Ulubis keine Flotte ausgeschickt, um die
Angreifer zurückzuschlagen, sondern wollte lieber abwarten, um
auf der eigenen Schwelle zu kämpfen. Lusiferus’ Taktiker
schlossen daraus, dass Ulubis vorbereitet, aber schwach war. Man
mochte einigen Sonden und eventuell Schiffen der Zerstörerklasse
begegnen, aber das wäre wahrscheinlich alles, bis man die
mittleren und inneren Systemregionen erreichte. Seine Admiräle
waren überzeugt, dass ihre Laserschiffe und ihre
Nahkampfverteidigung mit allem fertig werden konnten, was an
Hindernissen zu erwarten wäre.
    Lusiferus registrierte Geräusche hinter sich. Dort durften
einige seiner höheren Befehlshaber stehen, und hinter ihnen
hatte sich seine Leibgarde postiert. Er hörte Getuschel und
ängstliches oder gereiztes Zischen. Sein Körper versteifte
sich abwehrend. Gerade jetzt wollte er nicht gestört werden, es
sei denn, der Untergang seiner ganzen Flotte stünde unmittelbar
bevor. Das müssten die Leute doch wissen. Schon kehrte wieder
Ruhe ein.
    Er entspannte sich und richtete sich noch weiter auf. Die Rotation
erzeugte eine Schwerkraft von drei Viertel Ge. Wieder holte er tief
Luft und blickte auf seine Männer und ihre Ausrüstung
hinab. Welch ein erhebender Anblick! Die verkörperte
Unbesiegbarkeit, ein erregendes Spektakel kompromissloser, handfester
Macht. Und all das gehörte ihm, war eins mit ihm.
    Der Untergang seiner gesamten Flotte… Er malte sich aus, wie
es wäre, wenn jetzt, in diesem Augenblick eine Hyperwaffe aus
uralter Zeit mit einer gewaltigen Explosion die ganze
Invasionsstreitmacht auslöschte, ohne dass irgendjemand etwas
dagegen tun könnte. Unsinn – nun ja, zumindest war die
Wahrscheinlichkeit verschwindend gering –, aber was für ein
Schauspiel! Vor seinen Augen würde ein Schiff nach dem anderen
erlöschen, verschwinden, in Flammen aufgehen oder zur grellen
Lichtfackel werden. Zerstörung, so weit das Auge reichte.
    Er erschauerte, halb vor Entsetzen, halb vor Entzücken.
Natürlich würde es niemals dazu kommen, aber schon die
Vorstellung war ungemein erregend. Und natürlich war sie auch
eine Warnung. Nicht von einem Gott oder einem Programm, die nach den
Lehren der ›Wahrheit‹ das Universum beherrschten, sondern
von einer unmittelbareren, zuverlässigeren Instanz: seinem
eigenen Innern. Sein Unterbewusstsein oder ein wachsamer Teil seiner
Persönlichkeit spielte die Rolle des Narren, der im Triumphzug
stets an Caesars Seite ging und ihn daran erinnerte, dass alles eitel
war. Etwas dergleichen. Diese Zerstörungsphantasien waren eine
Mahnung seines eigenen Ichs, nichts für selbstverständlich
zu halten, sich zu konzentrieren, alles im Griff zu behalten, den
kommenden Krieg mit gewohnter Skrupellosigkeit anzugehen und innere
Stimmen zu ignorieren, die zur Mäßigung oder zu
ungerechtfertigter Gnade rieten. Jemand hatte einmal gesagt,
Grausamkeit wie Gnade sollten niemals der eigenen Eitelkeit
schmeicheln, sondern stets Mittel zum Zweck sein. Das würde er
nie vergessen.
    Ein letzter tiefer Atemzug. Er war bereit. Für alles
gewappnet. Dennoch, die Hochstimmung war verflogen. Die kleine
Unterbrechung hatte keinen echten Schaden angerichtet. Dennoch
wäre es sein gutes Recht, wütend zu werden, wenn es sich
als nötig erwiese. Aber lieber erst nachsehen, worum es
eigentlich gegangen war. Er machte auf dem Absatz kehrt, richtete
sich zu voller Höhe auf – man suche sich seine höheren
Befehlshaber immer danach aus, ob man auf sie hinabschauen

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