Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
Etagen höher fand Josh, dass Sam furchtbar aussah. »Das sagt natürlich der Richtige « , sagte er, »aber du hast schließlich keinen Krebs. Was ist los?«
»Ich war unten bei Penny«, erklärte Sam. »Sie hat mich zum Heulen gebracht. Ich glaube, ich verliere langsam den Verstand. Ich bin nur noch am Flennen in letzter Zeit.«
»Wenn Menschen ster ben, die man liebt, ist das nun mal traurig«, antwortete Josh. »Da ist Weinen doch eine angemessene Reaktion. Warum solltest du den Verstand verlieren, nur weil du weinst? «
»Penny wollte mir gerade weismachen, dass RePrise ihr das Sterben erleichtert, weil sie weiß, dass sie ihre Kinder nicht im Stich lässt, sondern ihnen auch nach ihrem Tod zur Seite stehen kann.«
Darüber dachte Josh einen Augenblick lang nach. »Da muss ich ihr recht geben. Erstens erleichtert es das Sterben, weil man seine Angehörigen nicht mit ihrer Trauer allein lassen muss, und zweitens, weil man das Gefühl hat, dass nicht alles umsonst war. Verstehst du, was ich meine? So nach dem Motto: Ich bin zwar nicht mehr hier, aber dafür leben meine – das klingt jetzt bestimmt furchtbar eingebildet, aber egal – angehäufte Weisheit, meine Erfahrungen und meine Beziehungen fort, von meinem früher mal unfassbar guten Aussehen ganz zu schweigen.«
»Hast du mich deshalb gebeten, mit dir zu reden? Du weißt schon … danach?«
»E s ist einfach schwierig, sich vorzustellen, dass man einmal nicht mehr da sein wird. Und dank RePrise muss ich das auch gar nicht. Ich muss nicht hier sitzen und denken, dass das vielleicht das letzte Gespräch ist, das wir je führen werden. Weil ich weiß, dass es nicht so ist.«
D ie Mauer
Josh starb in der darauffolgenden Nacht. Als Sams Handy um halb drei Uhr morgens klingelte, brachte er es zu Dash, damit dieser abnahm. Er selbst schaffte es einfach nicht. Nachdem Josh ihm am Vortag sozusagen seinen Segen erteilt hatte, ließ er sich im Schneidersitz auf dem Boden nieder und weinte. Dash setzte sich eine Weile mit feuchten Augen zu ihm und machte sich dann an die Arbeit. Er hatte Joshs Eltern versprochen, dass er alles für sie regeln würde, wenn die Zeit gekommen war. Und jetzt war es so weit. Er erledigte Anrufe, postete die traurige Nachricht im Internet, verschickte E-Mails, beantwortete Fragen, redete sanft auf erschütterte Freunde und Angehörige ein. Dann traf er die nötigen Vorkehrungen für die Totenwache, die im Salon stattfinden sollte, organisierte Essen und Getränke, zusätzliche Stühle und Tische, Mikrofone und einen Verstärker für die Musik, Tafelsilber, Servietten, Speisenwärmer und Geschirr, Kaffee und Tee und Tassen und noch mehr Papiertaschentücher. Sam saß immer noch auf dem Boden und weinte. Dash richtete ein Spendenkonto ein, bastelte eine Collage aus Fotos von Josh und besorgte ein Buch, in das die Gäste ihre Erinnerungen an Josh und Nachrichten an Joshs Eltern schreiben konnten. Sam ließ sich auf dem Boden nach hinten sinken und weinte, bis ihm die Tränen in die Ohren liefen. Dash fing an, den Käse einzusammeln, den er an verschiedenen Orten in der Wohnung zum Reifen eingelagert hatte. Schließlich lag ein ganzer Haufen auf dem Wohnzimmertisch. Sam setzte sich auf und schnüffelte.
»Alles klar bei dir?« , fragte Dash.
»Nicht wirklich.«
»Bisschen viel in letzter Zeit.«
»Z u viel.«
»Und alles S cheiße.«
»Allerdings.«
»Willst du mir beim Probieren helfen?«
»Okay.«
Sie probierten Käse, bis es dämmerte. Während Dash eine Dusche nahm, ging Sam nach unten, um den Salon aufzuschließen. »Wegen Todesfall geschlossen« war keine stichhaltige Entschuldigung in seiner Branche. Jedem, der hereinkam, erzählte er sofort von Joshs Tod, und so herrschte an diesem Vormittag Trauerstimmung im Salon, und zwar ganz ohne Projektionen. Vorübergehend trat die Trauer um Josh in den Vordergrund und verdrängte die Trauer um die verstorbenen Angehörigen. Kelly wollte ihn sofort anrufen, damit die ganze Gruppe mit ihm sprechen konnte, aber Sam hatte gerade erst angefangen, seine Daten einzulesen, und war ohnehin der Ansicht, dass der Familie der erste Anruf zustand. Einige Kunden boten an, Besorgungen zu machen und bei der Vorbereitung der Totenwache zu helfen. Sam schickte sie nach oben zu Dash. Andere erkundigten sich nach Penny, und Sam schickte sie ins Krankenhaus, damit Penny sich an frischen Blumen, frischer Wäsche und ein paar frische n Gesichtern erfreuen konnte. Manche Kunden wollten sich einfach nur
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