Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
noch schlimmer statt besser.«
»So ein Unsinn. Die Leute lieb en RePrise. Eure Kunden sind doch ständig im Salon und machen einen äußerst zufriedenen Eindruck.«
»RePrise hat alles kaputt gemacht«, sagte Sam schlicht. »Wenn wir diese Idee nicht gehabt hätten, wenn ich die Software nicht erfunden hätte, würde Meredith heute noch leben.«
»RePri se ist doch nicht schuld an Merediths Tod.«
»Natürlich. Wenn RePri se ihr nicht ermöglicht hätte, mit Livvie zu reden, wäre sie zum fraglichen Zeitpunkt nicht auf dem Markt gewesen.«
»Ach , Sam. Es war doch reiner Zufall, dass …«
»Außerdem war es eine Str afe«, unterbrach er sie. »Ich habe RePrise bekommen und Meredith verloren.«
»Da s glaubst du doch wohl selbst nicht, Sam? «
Jetzt weinte er. »Ich war gierig, ich habe mich am Leid der Menschen und am Tod bereichert. Ich habe die Vorstellung der Menschen zerstört, dass es eine Hölle gibt, und sie dazu gebracht, zu sündigen. Das war Größenwahn. Ich habe geglaubt, ich wäre mächtiger als die Vorsehung, das Schicksal, der Tod. I ch habe geglaubt, ich könnte der Zeit, die wir Menschen auf Erden haben, und den Tragödien, die uns ereilen, ein Schnippchen schlagen. Ich habe die Grenzen der Technik ausgereizt, ich habe Gott gespielt. Wie so etwas ausgeht, weiß ich aus Filmen und Büchern, Penny. Wenn sich die Menschheit gegen Gott auflehnt, gegen eine höhere Gewalt, gegen die Natur, gegen das Schicksal, die Gesellschaft, die Technik, endet es immer gleich: Die Menschheit wird bestraft. Ich werde bestraft. Jeden Tag aufs Neue.«
»Ach Sam, mein Lieber«, seufzte Penny. »Was erzählst du denn da für einen Unsinn?«
Sam versuchte vergeblich, mit dem Weinen aufzuhören, aber er schaffte es nicht. Es musste endlich alles raus.
»So ist das Leben nun mal, Sam. Willkürlich, schrecklich, unfair, sinnlos, unverständlich. Manchmal steht man eben da, wo gerade ein Dach einstürzt. Das ist furchtbar und sonst gar nichts. Dagegen kann niemand auch nur das Geringste tun. Außer du. Du sorgst mehr als jeder andere dafür, dass das Leben für viele ein bisschen weniger furchtbar ist.«
»Du nutzt RePri se doch nicht einmal.«
»Ich nicht, aber meine Kinder werden es eines Tages nutzen. Verstehst du denn nicht? Das ist dein Geschenk an uns alle. «
Sam verstand gar nichts.
»RePri se ist nicht für die Lebenden, Sam, und auch nicht für die Toten. Es ist für uns Sterbende. Auf dieselbe Weise wie Beerdigungen in Wirklichkeit nicht für die Toten, sondern für die Lebenden sind, verstehst du?«
Sam nickte.
»Auf den ersten Blick richtet sich RePrise an die Lebenden, aber in Wirklichkeit nutzt es am meisten den Sterbenden. Du hast dem Sterben seine Tragik genommen, Sam! Ist das nicht unglaublich? Der Schmerz ist jetzt kontrollierbar. Reue ist etwas Lebenslanges, das verspürt man nicht nur, wenn das Ende naht. Was das Sterben hingegen so unerträglich macht, ist der Kummer der Menschen, die man zurücklässt. Man muss zusehen, wie sie leiden und unglücklich sind, hat den Eindruck, sie im Stich zu lassen, weiß, dass der eigene Schmerz bald zu Ende ist, während der ihre dann erst so richtig losgeht. Glaubst du, dass Meredith es jetzt leichter hat oder du? Und diesen Schmerz müssen meine Kinder alleine durchstehen, weil ich nicht mehr für sie da sein kann. Das ist es, was die letzten Tage so unerträglich macht. Und jetzt sieh dir an, was du getan hast, Sam. Du hast die Regeln geändert. Ich weiß, dass ich immer noch da sein werde, um meine Kinder zu trösten, wenn ich tot bin. Ich weiß, dass sie mich nicht endgültig verlieren werden. Dadurch sind sie viel entspannter und können ihren Frieden schließen mit meinem Tod, also geht es mir genauso. Ich kann mich wirklich von ihnen verabschieden, statt nur Gastgeberin einer großen Selbstmitleids-Orgie zu sein. Wir können die Zeit nutzen, um miteinander zu lachen, statt zu weinen. Du hilfst nicht nur den Hinterbliebenen, sondern auch den Sterbenden beim Abschiednehmen, und das ist ein unglaubliches Geschenk. Du sorgst dafür, dass meine Kinder loslassen können, und dadurch kann ich auch loslassen. Das kann ich wirklich, weil ich weiß, dass ich alles, was ich jetzt nicht sage, auch später noch sagen kann.«
» Kannst du nicht«, fiel ihr Sam ins Wort. »Wenn du es bis jetzt nicht gesagt hast, ist es nicht in deinem Archiv. Dann kannst du es später auch nicht mehr sagen.«
»Ich bemühe mich ja auch, jetzt alles loszuwerden.«
Ein paar
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