Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
verwuschelte Meredith mit den noch ungeputzten Zähnen ein oder zwei Minuten lang eingehend zu betrachten, bevor er fragte: »Also, wann soll ich einziehen?«
»Was?«
»Soll ich sofort bei dir einziehen? Oder willst du noch warten?«
»Ich dachte, wir brunchen erst mal«, sagte Meredith.
»Und danach packe ich meine Sachen?«
»Ich dachte, wir brunchen und gehen dann vielleicht ein bisschen spazieren. Du nimmst mich auf den Arm, oder?«
»Das ist ein Spitzen-Algorithmus, Merde«, sagte Sam.
»Spitzen-Algorithmus?«
»Er irrt sich nicht . Ich habe ihn selbst geschrieben. Du hast es mit einem absoluten Qualitätsprodukt zu tun. «
»I ch finde trotzdem, dass zwischen unserem ersten Kuss und deinem Einzug mehr als zwölf Stunden liegen sollten.«
Sam ließ sich diesen Einwand durch den Kopf gehen. »Willst du dann vielleicht bei mir einziehen?«
»Es geht zwar nicht darum, wer bei wem einzieht, aber jetzt spinnst du völlig: Ich ziehe ganz bestimmt nicht in deine Einzimmerwohnung.«
»Warum nicht?«
»Du schläfst auf einem Podest, und deine Küche besteht aus einer einzigen Kochplatte. Ich hab zwei Hunde.«
»Und jede Menge Flugzeuge. Also wohnen wir hier.«
»Jetzt fliegst du erst mal nach London. Und dann sehen wir weiter.«
Sam flog zur alljährlichen Social-Networking-Konferenz nach London, die dieses Jahr unter dem Titel »London, Stadt der Liebe: Ein Herz für die Technik« stattfand, ein ebenso dämlicher wie verwirrender Name. London mochte ja die Stadt vieler Dinge sein (spontan fielen Sam Tee, Mumien und Ofenkartoffeln ein), aber nicht die der Liebe, jedenfalls nicht per se. Seine Teilnahme an der Konferenz war seit Langem geplant, und er hatte ja nicht wissen können, dass er sich eine Woche davor verlieben würde. Weil er Meredith am liebsten mit nach London genommen hätte, ließ er seine Überredungskünste spielen. »Es wäre ganz sicher von Vorteil, wenn die Marketingabteilung auch vertreten wäre «, sagte er zu Jamie. Dann versuchte er es mit: »Mein Vortrag handelt doch von meinem Algorithmus, und Meredith und ich sind die beste Werbung dafür.« Aber seine Bitten wurden nicht erhört. »Deine ungeteilte Aufmerksamkeit habe ich nur, wenn du alleine kommst «, argumentierte Jamie.
Das traf nur teilweise zu. Es wurde eine hektische Reise mit endlosen Tagungen und Präsentationen für Investoren und Vorträgen, an denen man teilnehmen musste, und Stehempfängen und Frühstückseinladungen, bei denen man sich blicken lassen musste. Hinzu kam die Beseitigung technischer Probleme, die unvermeidbar sind, wenn man weit weg von zu Hause mit geliehenem Equipment auskommen soll, wenn viel Geld und Einfluss auf dem Spiel stehen, wenn die Konkurrenz neugierig zusieht und alles reibungslos funktionieren muss. Sam wunderte sich, dass so viele technische Probleme auftraten – und es leuchtete ihm nicht ein, dass so viele davon anscheinend sein Problem waren –, obwohl jeder im Umkreis von drei Häuserblocks Computerfachmann war und es bei der ganzen Konferenz um nichts anderes ging als Technik. Aber ihm blieb keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, denn neben all diesen Dingen musste er noch Museen erkunden, Kirchen besichtigen, über Märkte bummeln, Bier trinken und Theaterstücke besuchen. Und im Regen durch die Straßen streifen, in den Fluss starren, Tee trinken und sich nach Meredith sehnen. Auch wenn sie nur zwei Wochen voneinander getrennt waren, fühlte er sich leer und einsam, spürte ihre Abwesenheit körperlich. Es fühlte sich an, als hätte er nur noch einen Lungenflügel. Und er kostete jede Minute dieses Gefühls aus.
Gleich am ersten Abend legte er auf dem Rückweg ins Hotel einen Zwischenstopp in einem Chinarestaurant auf der Tottenham Court Road ein und bekam einen Glückskeks mit dem Spruch: »Die Liebe wächst mit der Entfernung.« Er schickte ihn als SMS an Meredith weiter.
»Falsch«, schrieb sie zurück. »Der Wahnsinn wächst mit der Entfernung.«
Er schwebte regelrecht zurück ins Hotel. Dort angekommen, machte er sich bettfertig und rief sie an.
»Was meinst du mit Wahnsinn?«, fragte er.
» Ich bin bei der Arbeit«, antwortete sie.
»Echt? Es ist doch schon nach fünf bei euch. Geh nach Hause und ruf mich an.«
»Ich treffe mich noch mit Nat halie. Können wir nicht morgen telefonieren?«
»Nur w enn du mir sagst, was du mit Wahnsinn gemeint hast «, beharrte Sam.
»Morgen«, versprach sie, und er ging schlafen. Um halb sechs klingelte sein
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