Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
zu wünschen übrig lässt.«
Jamie schubste ihn in eine Pfütze, und Sam musste seine Große Präsentation in durchweichten Schuhen halten. Trotz dieser Tatsache ernteten Sam und sein Algorithmus donnernden Applaus. Die anschließenden Fragen und Antworten mussten nach eineinhalb Stunden abgebrochen werden, weil jemand anders (dem Sams ewig währende Dankbarkeit galt) den Raum brauchte.
Zur Feier des Tages lud ihn Jamie zum Mittagessen in ein Pub mit sehr guter Küche in der Nähe der St. Paul’s Cathedral ein, wo Sam ein Pint des zwar zimmertemperierten, aber wie er zugeben musste besten Bieres leerte, das er je getrunken hatte. Dann schlenderten sie über die Brücke zur Tate Modern hinüber, um sich ein Exponat anzusehen, das die gesamte riesige Eingangshalle ausfüllte: ein maßstabgetreues Modell der Innenstadt von London. Da es aus Schaumstoff war, fügte man weder dem Kunstwerk noch sich selbst Schaden zu, wenn man versehentlich aufs National Theatre trat oder einem der Big Ben buchstäblich das Bein stellte. Das Modell war etwa hüfthoch und so detailliert, dass sie es ein zweites Mal in Miniaturformat durch die Fenster der Schaumstof f - Tat e -Modern sehen konnten. Sie wanderten durch die Straßen, die viel trockener waren als die echten, bis Jamie erst die Wohnung entdeckte, in der er aufgewachsen war, und dann mit der Jacke an einem Restaurant hängen blieb, das er vollkommen vergessen hatte und in das er Sam unbedingt zum Abendessen einladen wollte.
»Bin ich nicht ein guter Chef?«, lobte er sich.
»Doch.«
»Deine Präsentation war großartig, Sam. Sehr intelligent. Genial sogar.«
»Danke.«
»Du wirst deinen Weg gehen«, sagte Jamie.
»Meinst du ?«
»Oh ja, absolut .« Dann schlenderten sie zum Tower von London hinüber.
Auf einer Galerie im Turm bekam Sam eine SMS von Meredith: »Ich mach dich fertig. Heute Morgen beim Meeting habe ich nach unten geschaut und gesehen, dass ich einen dunkelblauen und einen schwarzen Schuh anhatte.«
»Und was kann ich dafür?«, schrieb Sam.
»Der Wahnsinn wächst mit der Entfernung«, antwortete Meredith.
So blieb es mehr oder weniger während der ganzen restlichen Reise. Morgens Konferenzen, nachmittags Stadtbummel mit Jamie und danach warten, bis Meredith zu Hause in Seattle endlich aufwachte und ihn anrief/ihm eine SMS schickte/mit ihm chattete/ihm eine E-Mail schickte oder ihn anderweitig wissen ließ, dass sie noch lebte, dass es ihr gut ging und dass sie ebenfalls an ihn dachte. Sie schickte ihm eine fortlaufende Liste mit Beweisen dafür, dass seine Abwesenheit sie in den Wahnsinn trieb.
Wahnsinnsbeweis Nummer 3: Die Bedienung im Coffeeshop versehentlich »Mama« genannt.
Wahnsinnsbeweis Nummer 4: Vergessen, Hundetüten mit in den Park zu nehmen, woraufhin ich die Hundehaufen mit einem Blatt auflesen musste.
Wahnsinnsbeweis Nummer 5: Hundehaufen mit einem Blatt aufgelesen, obwohl gerade niemand geguckt hat und obwohl es nicht mal mitten auf dem Gehweg war oder so und obwohl die Leute eigentlich auch selbst ein bisschen aufpassen könnten, weil dann die Müllkippen nicht mit diesen ganzen Plastiktüten voll wären, auch wenn meine natürlich biologisch abbaubar sind, was allerdings nichts bringt, wenn ich sie zu Hause vergesse.
Wahnsinnsbeweis Nummer 6: Vollkommen unfähig, die Userdaten für Mai/Juni auf den neuesten Stand zu bringen oder das Storyboard für die Wilson-Abbot-Sache fertigzustellen oder mich mit Erin wegen des Kick-offs nächste Woche zu treffen oder beim Morgenmeeting überzeugend Aufmerksamkeit zu heucheln, um nicht von Edmondson ausgeschimpft (!) zu werden (als wäre ich eine Vierjährige!). Stattdessen die ganze Zeit an dich gedacht, an dich gedacht, an dich gedacht und … an dich gedacht.
Wahnsinnsbeweis Nummer 7: Vollkommen unfähig, Wahnsinnsbeweis Nummer 6 für mich zu behalten und auf cool, entspannt, ungezwungen, nicht übermäßig interessiert und schwer zu kriegen zu machen, nach dem Motto »Wenn nicht, dann halt nicht«. Wahn. Sinn.
Nun stahl sich auch noch Sams verbleibender Lungenflügel davon. Er konnte es kaum erwarten, nach Hause zu kommen.
Endlich neigte sich die letzte Sitzung des letzten Konferenztages ihrem Ende zu. Sam stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, weil nun keine Technik mehr versagen, keine Tagungen mehr seine Aufmerksamkeit verlangen, keine Veranstaltungen mehr seine Präsenz erforderlich machen konnten und er in neunzehn Stunden im Flieger sitzen und zum Rest seines Lebens
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