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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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hätte der liebe Gott sich von Picasso inspirieren lassen und heute seine eigene Blaue Periode . Und um beim Kunstvergleich zu bleiben: Die aufsteigende und niedersinkende Sonne wirkte in diesem Zusammenhang wie eine bewegliche Signatur, welche die Unverwechselbarkeit dieses einen Weltenlenkers bewies und das Original als solches bestätigte.
    Freilich hätte der Allesforscher – mein alter Freund in Köln – darauf verwiesen, daß man ohne eine dementsprechende »Kartei« auch von einem Fingerabdruck auf keine bestimmte Person, kein bestimmtes Gesicht schließen könne. Selbst eine noch so schöne und kräftige und lebenspendende Sonne änderte nichts daran, daß Gott im Grunde unsichtbar blieb. Einzig durch einen Abdruck präsent. Wie bei diesen Gespenstern, bei denen man allein die feuchte Fußspur sieht, wenn sie aus der Dusche treten.
    Und noch eines hätte Little Face zu bedenken gegeben, daß nämlich nicht nur Bilder gefälscht wurden, sondern auch Signaturen, und es hin und wieder sogar geschah, daß ein Künstler seine eigenen Werke kopierte. Was also, wenn diese Welt zwar tatsächlich von Gott stammte, aber trotzdem eine Fälschung war? Und dies der insgeheime Grund dafür, wie unglücklich viele von uns wurden, sobald sie anfingen nachzudenken.
    Aber natürlich kann das Leben auch in einer Fälschung Spaß machen. Bei solchem Wetter!
    Während der zweiten Tageshälfte hielt die Blaue Periode an, und der Wind führte trotz beachtlicher Höhe eine lauwarme Luft an unsere Haut. Sie streichelte uns richtiggehend. Allerdings wurden wir beim Gehen deutlich langsamer. Kerstin tat ihr linkes Bein weh, und wir waren gezwungen, immer wieder eine Pause einzulegen. Ich sah die Tränen in ihren Augen. Aus Ärger? Oder der Schmerzen wegen? Wahrscheinlich sowohl als auch. Da nützte selbst die Creme nichts, die Mercedes ihr auf den Schenkel schmierte. Jedenfalls waren wir noch weit von unserer Zielhütte entfernt, als die Sonne hinter dem Horizont verschwand und die Blaue Periode in die Rosa Periode überging.
    Aber ohnehin hatten wir überlegt, im Freien zu kampieren. Wir stellten zwei Zelte auf, ein kleines für Mercedes und ein größeres für mich und meine Familie. Es ging wirklich schnell. Wir hatten auf der Fahrt hierher, auf einem der Parkplätze, ein bißchen geübt. Es war eine gute Stelle, windgeschützt, seitlich eines Felsens, aber mit bestem Blick. Und als die Nacht kam, kamen auch die Sterne, die ja immer da sind. Und dennoch hat man das Gefühl, als würden sie praktisch angedreht werden. Der Himmel aus und die Sterne an! Wobei man hier oben natürlich einen besonderen Blick besaß, dank wolkenlosem und vergleichsweise unverdrecktem Firmament. Man konnte das breite Band der Milchstraße sehen, die Galaxie, in der man selbst steckte, benannt nach einem Schokoladeriegel. (Zumindest hatte ich das als Kind geglaubt und war darin bestärkt worden, als ich erfuhr, daß dieser Riegel von einem gewissen Frank C. Mars erfunden worden war, der sich wiederum von einem Milchshake hatte inspirieren lassen. Ich hatte mir gedacht: »Wenn jemand schon so heißt! Das kann nie und nimmer ein Zufall sein.«)
    Alle vier saßen wir eingehüllt in unsere Schlafsäcke im Freien, etwas abseits des Lagerfeuers, um die dichte Schar der Sterne zu betrachten.
    »Wir werden morgen noch vor der Lizumer Hütte abzweigen«, erklärte Mercedes. »Und direkt zum Glungezer marschieren. Beziehungsweise zur Tulfeinalm.«
    Selbige lag nördlich des Gipfels, und an diesem Ort war auch die Wirtschaft, die Clara Foresta des öfteren aufzusuchen pflegte.
    »Was ist dort so besonders?« fragte ich.
    »Es ist eine Frauenwirtschaft«, erklärte Mercedes.
    »Na, es kommt schon mal vor«, meinte ich, »daß Hütten und Wirtshäuser von Frauen geführt werden …«
    »Die Verhältnisse dort sollen schon eher einem Matriarchat ähneln«, sagte Mercedes.
    Ich erkannte jetzt die Klinge seines Messers, welches er auf Brusthöhe hielt. Auf dem glatten Stahl spiegelten sich die Sterne. Erneut mußte ich daran denken, wie er die beiden Männer getötet hatte, die Kerstin hatten mitnehmen wollen. Wie perfekt das gewesen war. Messerscharf in jeder Hinsicht. So, wie vielleicht ein Engel oder Heiliger töten würde, müßte er.
    Nachdem wir lange genug auf den heimatlichen Sternhaufen geschaut hatten, kehrten wir zu unserem Feuer zurück und rieben unsere Hände an der Wärme.
    Später dann, im Zelt, lag Simon zwischen mir und Kerstin. Wir waren jetzt auch

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