Der Allesforscher: Roman (German Edition)
Antwort, sagte ich: »Nein, aber ich hatte als Kind ein Holzschwert, das habe ich immer mit ins Bett genommen. Egal, wie sehr sich meine Eltern aufgeregt haben, weil die gemeint haben, mit einer Waffe schläft man nicht.«
»Das klingt jetzt, als hätten sie Angst gehabt, du könntest mit dem Ding onanieren.«
»He, Vorsicht«, sagte ich und blickte zu Simon, von dem ich ja nie wußte, was er verstand und was nicht. Dann meinte ich: »Entscheidend war, daß ich immer das Gefühl hatte, mit dem Schwert sei ich sicher.«
Meine Güte, wo war dieses Schwert wohl hingekommen? Lag es noch bei meinen Eltern? Dort in Köln? Ich wußte es nicht.
Ich kroch zurück in meinen offenen Schlafsack und bildete mit Kerstin und Simon eine erneute Milchstraßenverbindung.
Es war übrigens nicht so, daß wir uns beim Aufbruch am Vortag nicht über das mögliche Wetter informiert hatten. Doch einen solchen Umschwung hatte niemand prophezeit, auch nicht das Internet, wo gerne und viel gewarnt wird. Aber nicht vor diesem Schnee, der auf einen der schönsten denkbaren Spätsommer folgte.
Da war er nun, der raffinierte Herbst, einer, der sich zuerst als Sommer verkleidet hatte und jetzt als Winter.
Als wir aus einem Wechsel von Schlafen und Dösen und zeitweiligem halbbewußten Geblödel, in das Simon sich einfügte, endlich so richtig wach wurden, war es Mittag. Und es war draußen sehr viel leiser geworden. Sonnenstrahlen brannten auf das Zelt und trugen die grüne Farbe der Hülle ins Innere.
Als ich aus dem Zelt schlüpfte, sah ich ein letztes Stück der Wolkenfront Richtung Italien verschwinden. Die Blaue Periode war zurückgekehrt, aber warm war es nicht mehr geworden. Die Berge weiß, damit leider auch der markierte Wanderweg. Dennoch mahnte Mercedes zum sofortigen Aufbruch. Die Gunst der Stunde war zu nutzen, und zu hoffen, es würde eine lange Stunde sein.
Ein Glück war auch, daß es Kerstin mit ihrem wehen Bein schon sehr viel besserging, obgleich es nicht einfach war, auf der nachgebenden Schneedecke zu marschieren. Simon freilich bewegte sich mit der Fröhlichkeit und Leichtigkeit eines jungen Hundes. Mercedes wiederum wußte auch im Schnee, wohin es ging. Ich meinerseits trug das schwerste Gepäck. Meine Stärke war mein Rücken.
So gut wir auch vorwärts kamen, den Glungezer erreichten wir an diesem Tag nicht mehr, sondern schlugen zwei Berge vor dem Ziel unser Lager auf. Zelt und Lagerfeuer und Bohnensuppe.
Während Mercedes mit Simon in der Suppe rührte und sie darauf achteten, daß das Feuer nicht ausging, stand ich mit Kerstin ein wenig abseits, und wir blickten auf den sich verdunkelnden Himmel. Ein Himmel frei von Flugzeugen. Offensichtlich hatte der Wintereinbruch auch seine Auswirkungen auf den Flugraum. Es war, als würden in Hitchcocks Die Vögel plötzlich die Vögel fehlen. Darum auch meinte Kerstin: »Ein Himmel so ganz ohne Kondensstreifen wirkt fast unnatürlich. Ich sage jetzt nicht, daß ich die Luftverschmutzung gut finde, aber … ich meine, wenn in einem Gesicht, welches dir vertraut ist, plötzlich die Nase fehlt, bist du auch verunsichert.«
»Du übertreibst«, sagte ich, »einen Himmel ohne Flugzeuge kann man ganz gut aushalten.«
Aber Kerstin beharrte darauf, daß es sie traurig mache, diesen auf eine gewisse Weise leeren Himmel zu betrachten. Menschenleer, um genau zu sein. War doch jedes Flugzeug nichts anderes als ein fliegendes Haus mit Leuten drin.
Ich fragte sie: »Sag, kann es sein, daß du vergißt, daß ich mal abgestürzt bin?«
»Ja, was?« entgegnete sie. »Und jetzt findest du, es wäre besser, wenn nie wieder ein Flugzeug aufsteigt?«
»Gott, Kerstin, wir reden manchmal aneinander vorbei. Weil, so habe ich das wirklich nicht gemeint.«
»Und wie hast du’s gemeint?« fragte sie und zog mit dem Finger eine Spur durch die Luft, als kratze sie einen weißen Strich in den nachtblauen Himmel. Worauf ich meinte: »Gut so, mach dir deinen eigenen Kondensstreifen.«
Ich nahm sie in den Arm. Es war schon komisch zwischen uns. So wirklich gut verstanden wir uns nicht, andererseits …
Ich wußte, daß sie meine letzte Frau sein würde. Egal, wie lange mein Leben noch dauerte.
32
Wenn ich früher als Kind hochgesehen hatte zu einer vorbeiziehenden Wolke, ihre Form feststellend, ihre Ähnlichkeit mit Tieren und Menschen und Gegenständen, mitunter sogar mit Wörtern, hatte ich mich oft gefragt, ob ich genau diese eine Wolke später noch einmal erblicken würde. Dann, wenn
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