Der Allesforscher: Roman (German Edition)
nach Sprecherinnen zu benennen? Nach den Sendestationen, die diese Sprecherinnen absichtsvoll beschäftigen? In jedem Fall …
Aber da war es wieder, das blinkende Licht. Mit einemmal viel näher, greifbar nahe: ein kräftiger Farbfleck in einem dunklen Regenbild. Ich mobilisierte mein letztes bißchen Kraft, schlug ins Wasser, trat hinter mich und blies gleichzeitig in die Pfeife, die von meiner Schwimmweste hing. Für den Fall, daß da jemand war, der mich hören konnte.
Und dann war ich endlich dran an dem Ding. Bei dem es sich nicht bloß um eine kleine, schmale, aufrecht schwimmende Säule handelte, sondern um einen massiven Kasten, ein rechteckiges Objekt. Der Nachthimmel hatte sich so weit aufgehellt, um erkennen zu können, daß die Boje einen Umfang von mehreren Metern besaß, ausgestattet mit ringsum führenden Metallstreben. Obenauf befand sich ein hülsenförmiges Konstrukt, von dem eine Stange hochführte, deren Spitze jenes lockende Licht aussendete. Und ich sah, in Griffweite, eine Leiter.
Zu erschöpft, um hinaufzuklettern, hakte ich meinen Arm in eine der Sprossen ein und wickelte den Gurt der Schwimmweste um mein Handgelenk, um nicht gleich wieder fortgerissen zu werden. Keine Sekunde zu früh. Denn in diesem Moment wurde mir schwarz vor Augen.
Erneut geriet ich unter die Bettdecke. Ich vernahm jetzt Lanas Stimme, eine Stimme, so, als trete Christus als Frau auf. – Lanas Christusstimme, weich, aber nicht zu weich: gleich Obst zur besten Zeit. Keine Ahnung, worüber sie sprach. Ich vernahm allein den guten Klang.
So hing ich wohl eine ganze Weile. Als ich endlich das Bewußtsein erlangte, spürte ich die Stellen am Körper, mit denen ich immer wieder gegen die Leiter geprallt war. Doch die See hatte sich etwas beruhigt. Um so heftiger fiel der Regen. Ich löste den Gurt vom Handgelenk und kämpfte mich die Leiter hoch. Ich hatte das Gefühl, mich gegen den Regen wie gegen Abertausende kleine Hände, grausame Wichtelhände, stemmen zu müssen. Doch es gelang. Ich erreichte – wobei es mir selbst hier noch vorkam, als trüge mich die Schwimmweste – eine Plattform, in deren Mitte der Kapselkörper mit Funkmast und Leuchtsignal montiert war. Nach allen vier Seiten prangte eine aufgemalte chinesische Flagge. Viele Jahre Salz und Wind und Wasser hatten am Dekor genagt. Alles hier schien zernagt. Altes China, Mao-China, bevor Glanz und Gloria der Konzerne sich seiner bemächtigt hatten.
Endlich sah ich die kreisrunde Form einer Luke, die mit einem Drehkreuz ausgestattet war. Sofort ging ich daran, sie zu öffnen, wobei ich ein eingerostetes, widriges Ding befürchtet hatte. Doch es ließ sich ohne Schwierigkeiten bewegen. Und zwar mit einer Leichtigkeit, die mich erschreckte. – In einer Welt dauernder Unbill, dauernder Kraftanstrengungen erscheint das Leichte, das Glückliche keineswegs wie ein Gottesgeschenk, im Gegenteil. Tiere wittern Feinde, Menschen den Teufel.
Ich ließ erst einmal den Schrecken ausklingen, dann hob ich die Luke an und rief in das schwarze Loch hinein. – Was hatte ich erwartet? Daß andere Überlebende mir zuvorgekommen waren? Chinesisches Militär? Gespenster?
Einzig meine Stimme hallte. Ich tauchte mein Bein in das Dunkel und kletterte auf der Leiter nach unten. Daß ich die Luke offenließ, half nicht wirklich. Das wenige, ohnehin von Wolken getrübte Mondlicht versickerte rasch. Blind bewältigte ich die letzten Sprossen. Es war hier drinnen ausgesprochen warm, trocken und stickig. Ich befreite mich von meiner Rettungsjacke und legte sie neben mich auf den Boden. Behutsam. Wie um meinen Respekt zu bekunden. Ich würde mich nie wieder – wie ich das oft auf Flügen zwischen Köln und München getan hatte – über Schwimmwesten lustig machen.
Erst in diesem Moment wurde mir bewußt, daß ich noch immer meinen Geschäftsmannanzug trug, noch immer die Krawatte umgebunden hatte. Wann auch hätte ich die Zeit haben sollen, sie herunterzunehmen? Selbst die schwarzen Lederschuhe hatten sich auf meinen Füßen gehalten.
Jetzt aber verfügte ich über die Zeit. Ich zog mich vollkommen nackt aus, so warm, wie es hier unten war. Anfang März im Ostchinesischen Meer, vorausgesetzt, man hockte in einer alten Boje.
Es regnete allerdings so kräftig herein, daß ich wieder nach oben stieg und die Öffnung schloß. Zurück am Fuß der Leiter, ließ ich mich niedersinken.
Ich spürte die hölzernen Balken unter mir, die dünnen Spalten. Zudem roch es nach Gekochtem.
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