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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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sanft, als knicke jemand beiläufig einen fettigen Hühnerknochen – riß der Rumpf auseinander. Ich sah es nicht, aber es war deutlich zu spüren, wie man spürt, wenn im Nebenzimmer jemand aus dem Bett fällt. Das Vorderteil, in dem ich mich befand, drehte sich mehrmals um die eigene Achse, bevor es sich aufrecht in die Höhe stellte, einen Moment innehielt und sich in der Folge rücklings überschlug. Solcherart kam der Korpus immerhin zum Stehen beziehungsweise zum Liegen. Allerdings hingen wir jetzt kopfüber in unseren Gurten, während das Wasser durch die weite Öffnung rasch eindrang.
    Ich griff nach der Schnalle des Gurts, um sie zu lösen. In diesem Moment entglitt mir die Schwimmweste, die mir quasi vorausfiel. Im Sturz streckte ich die Hände, prallte auf das Gepäckfach, glitt zur Seite und geriet in das hereinströmende Wasser.
    Zu sehen war nichts. Überall waren Nacht und Sturm und Schreie und schwarzes, kaltes Wasser, aus dem ich hochfuhr, mit den Armen um mich schlug und verzweifelt nach der Schwimmweste griff. Aber es war eine Schulter, die ich erwischte. Und damit eine Person, die im Gegensatz zu mir durchaus eine solche Schwimmweste besaß.
    Und dann die Explosion!
    Eine kleinere, der eine größere folgte. Und daraus resultierend ein mächtiger Druck, der mich erfaßte, der mich forttrug, ohne daß ich aber den Griff gelöst hätte, mit dem ich die fremde Schulter … nein, mit dem ich eine fremde Schwimmweste gepackt, mich richtiggehend darin verkrallt hatte, während eine Folge heftiger Wellen von Luft und Wasser mich aus dem halbierten Flieger hinausspuckte.
    Das war das Glück gewesen, so nahe der Bruchstelle gesessen zu haben und so fern der Explosion. Allein in den Nutzen der massiven Bewegung geratend.
    Für einen Moment war ich betäubt und versank. Sekunden nur. Allerdings so weit der Wirklichkeit entrückt, daß ich, als ich wieder zu mir kam, meinte, mich unter meiner Bettdecke zu befinden. Ich griff nach Lana, die ich zwischen den Daunen vermutete. Geliebte Lana! Ja, ich erwartete, den Stoff ihres Kostüms zu spüren. Dann aber wachte ich richtig auf, schluckte Wasser, Salzwasser, ostchinesisches Salzwasser, das so vielen Lebewesen Nahrung und Raum spendet, mir aber … Ich schlug um mich, trat ins Leere, erhielt Auftrieb. Mein Kopf schnellte über die Wasseroberfläche. Atmete.
    Im Schein der Feuer, die an mehreren Stellen der stürmischen See aufloderten, erkannte ich die Schwimmweste, die ich nur kurz losgelassen hatte. Ich kraulte zu ihr hin und faßte danach. Eine Schwimmweste ohne die Person, die noch kurz zuvor, im Inneren des Flugzeugs, mit dem Kopf darin gesteckt hatte.
    Es war nun mein eigener Kopf, den ich durch den Halsausschnitt der luftgefüllten Konstruktion drückte. Sogleich geriet ich in die gewünschte Rückenlage, streckte die Hände seitlich aus und trieb mit den Wogen auf und ab. Während ich nach Luft schnappte, vermischten sich Meer- und Regenwasser in meinem Mund. Der prasselnde Niederschlag erfüllte die Umgebung mit derartiger Gewalt, als versuchte er ein zweites Meer zu schaffen. Eine gestrichelte Kopie des ersten. Ich spuckte und schrie. Nicht nach Hilfe. Sondern nach dem Mann, der von Rechts wegen sich in dieser Schwimmweste hätte befinden müssen.
    Keine Frage, es war mein Sitznachbar gewesen: der Zehn-Millionen-Mann. Ein Mann, dessen Namen ich nicht einmal kannte, weshalb ich ein bloßes »Hallo!« und »He!« in die getränkte, lärmende Luft brüllte. Umsonst! Da war niemand außer mir, obwohl der Flieger doch voll mit Menschen gewesen war. Endlich jedoch erkannte ich auf den Kämmen entfernter Wellen gelbe Flecken, andere Menschen in Schwimmwesten, aber niemanden eben, dem ich hätte anbieten können, ihm die seine zurückzugeben. Oder sie wenigstens auf irgendeine Weise mit ihm zu teilen.
    Schwimmwesten teilen!? Gott, in welcher Komödie, dachte ich, sind wir hier?
    Sicher, es war keine böse Absicht gewesen, daß ich das Ding von seinem Träger heruntergezogen hatte. Was mir gar nicht gelungen wäre, hätte er daran gedacht, den dazugehörigen Gurt zu schließen. Zwar war die Weste in diesem Moment bereits aufgeblasen gewesen, aber offensichtlich war sie dem Zehn-Millionen-Mann im Zuge all der Kräfte, die hier so ungünstig wie günstig gewirkt hatten, über den Kopf gerutscht. In erster Linie natürlich dank der Kraft in meinem Arm. Ja, es war nicht mal auszuschließen, daß der Gurt sehr wohl geschlossen gewesen war, besagte Kraft

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