Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
vor, fuhr mir allen Ernstes mit dem gestreckten Finger unter die vorderste Strähne und schob sie etwas nach hinten. Dann setzte ich mich wieder gerade hin und umfaßte mit einer Hand die Armlehne, mit der anderen einen Oberschenkel.
    Der Pilot meldete sich und erklärte …
    »Was sagt er?«
    »Daß er versuchen wird, tiefer zu gehen.«
    »Warum nicht gleich!« kommentierte ich.
    Die Formulierung »tiefer gehen« war eine Verharmlosung des Sturzfluges, der jetzt einsetzte. Einige der Geschäftsleute vergaßen ihr Kriegerethos und begannen nun doch zu schreien. Schreie, die um so deutlicher zu hören waren, weil man wegen des raschen Verlusts an Höhe immerhin aus dem Hagelsturm geriet.
    Als die Sauerstoffmasken aus den Fächern rutschten und über den Köpfen schaukelten, ergab dies ein vollkommen vertrautes Bild. Hundertmal gesehen! In Katastrophenfilmen. In Dokumentationen. Vor einem jeden Start als Rollenspiel des charmanten Begleitpersonals. – Daß es jetzt wirklich geschah, erschien wie eine Bestätigung des wirklichen Lebens, dessen Sinn mitnichten darin besteht, eine beruhigende Statistik zu erhärten. So selten Sauerstoffmasken zum Einsatz kommen, kann man dennoch nicht sagen, sie existierten ohne Zweck.
    Entgegen der altbekannten Aufforderung, sich die Maske zuerst selbst anzulegen und dann seinem Nachbarn zu helfen, versuchte ich, wie in Trance, vorweg dem Mann neben mir zu helfen. Der mir aber die Hand wegschlug. Kräftig genug, daß ich endlich begann, mich um mich selbst zu kümmern.
    Wind pfiff durch den Gang. Mit einer Heftigkeit, als sei das Cockpit geborsten. Doch genau aus diesem Cockpit erfolgte jetzt die Anweisung, den Kopf einzuziehen und sich nach vorn zu krümmen, da man demnächst versuchen werde, Bodenkontakt herzustellen.
    »Boden?« fragte ich mich. Ground contact? Meine Güte, unter uns befand sich die landlose Fläche des Ostchinesischen Meers. Keine Chance, festes Terrain zu erreichen. Der Ground an dieser Stelle war die Sea.
    Ich hatte meinen gerade erst geheilten Kopf zwischen die Beine gesteckt und die Hände am Hinterkopf zu einem zweiten »Schädelknochen« verschränkt. Mein Kinn lag auf der Brust auf, während ich meine Kniegelenke gegen die Ohren preßte. Derart, daß es schmerzte, aber es war auch gut so. Ich vernahm nur noch stark gedämpft das Dröhnen. Wie aus einem fernen Autokino, das einen Katastrophenfilm zeigt.
    So ging es lange dahin. Um einiges länger als im Kino, wo nicht ewig Zeit ist, bis etwas explodiert. Ich gewann die Hoffnung, wir könnten es vielleicht doch noch bis zum taiwanischen Festland schaffen. Oder drüben in Okinawa landen.
    Aber die Maschine, die dieses Flugzeug war, hatte längst ihren Zustand gewechselt, trieb bewußtlos wasserwärts, immerhin nicht wie ein Stein herabfallend, sondern im Segelflug eine Landebahn erträumend, auf die es aufzusetzen galt. Der Pilot hatte die Zügel in der Hand und versuchte den Träumer zu lenken.
    Ich spürte jetzt das Wasser unter mir, seine Nähe, seine Härte, die gespannte Oberfläche. Und erst da wurde mir bewußt, noch ohne Schwimmweste zu sein. Wobei es ja auch schwer ging, zugleich die Atemmaske zu tragen und sich die Schwimmjacke überzustülpen. Nun, umgekehrt wohl schon. Denn aus dem Augenwinkel heraus registrierte ich das markante Gelb, mit dem mein Sitznachbar ausgestattet war.
    Ich griff unter meinen Sitz, faßte nach dem Kunststoffteil …
    Bruuuuck!
    In diesem Moment streifte der Flieger das Meer. Augenblicklich katapultierte es die Maschine wieder in die Höhe, um erneut abzusacken. Was sich mehrmals wiederholte, bevor sie endgültig den »Bodenkontakt« beibehielt und in hohem Tempo die Wasseroberfläche aufriß.
    Trotz der Erschütterungen war es mir gelungen, die Schwimmjacke unter dem Sitz hervorzuziehen. Die Atemmaske hatte ich heruntergerissen und hielt mir statt dessen das Plastikteil vors Gesicht. Als wollte ich solcherart meinen Kopf schützen, mein erneut bedrohtes Gehirn. Das Atmen hatte ich eingestellt. Mein ganzer Leib versteifte sich zu einer Bronzefigur. Wie vielleicht Rodin sie geschaffen hätte, hätte es zu seiner Zeit bereits abstürzende Passagierflugzeuge gegeben. Ein verkrampfter Denker! Ein von der Technik verratener, gebeugter Bürger von Calais!
    Aber auch Bronze kann brechen. Vorher jedoch brach das Flugzeug. Mit einem plötzlichen Ruck beendete der willenlose Träumer seine gerade Spur, vollzog eine Drehung, und mit einem Geräusch von merkwürdiger Milde – so

Weitere Kostenlose Bücher