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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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vergißt.
    Ich war Mitglied bei den Stuttgarter Kickers geworden, eigentlich ein Fußballverein, der mich nicht interessierte, mir aber die Möglichkeit bot, auf der Laufbahn, die einen der Rasenplätze gleich einem anschmiegsamen Saturnring umgab, zu gewissen festgelegten Zeiten meine Hürden aufzustellen und mein eigenes trainerloses Training zu absolvieren. Immerhin hatte ich früher zur Elite der deutschen Hürdensprinter gezählt. Das lag freilich lange zurück, und ich galt am neuen Ort als der »springende Bademeister«, auch wenn »fliegender Bademeister« korrekter gewesen wäre, was dann aber doch zu falschen Assoziationen geführt hätte. Jedenfalls hatte ich dort meine Bahn und meine Ruhe. Und nun eben auch die Möglichkeit, Simon zu unterrichten.
    Es war jetzt spät im Sommer und spät am Tag, und das Orangerot der untergehenden Sonne ließ die Tartanbahn besonders schön glühen. Es war ausgesprochen warm, und Simon stand mit kurzer Hose und kurzem Leibchen und Sportschuhen am Rand der Bahn. Sein Anblick verursachte mir einen Stich in der Brust, dieses Haut-und-Knochen-Kind mit der Ausstrahlung einer Gliederpuppe, an der die Kleidung geisterhaft wehte. Da nützte auch nicht zu wissen, wie viele Pizzastücke dieses Kind verdrücken konnte und auch verdrückte. Außerdem hätte man natürlich argumentieren können, daß sein »äthiopischer« Körper sich doch bestens für den Laufsport eigne. Allerdings eher für die Langstrecke als den raschen Lauf über Hindernisse. Etwas muskulöser durfte der Junge also schon noch werden.
    Ich stellte die vier mitgebrachten Übungshürden in gleichmäßigen Abständen auf und zog die Balken auf die niedrigste Höhe herunter. Bei alldem schilderte ich genau, was ich tat und wozu. Ich hatte mir das angewöhnt, mit Simon zu reden, ja, ich redete mehr als »normale« Eltern, kommentierte beinahe einen jeden Handgriff, schaute dabei Simon an und hoffte auf ein Zeichen, daß er mich verstanden hatte. Überzeugt, er sei in der Lage, das Wort »Hürde« nachzusprechen. Was er aber nicht tat, kein bißchen.
    Hielt ich ihn für einen Simulanten?
    Manchmal ja, manchmal nein. Mitunter kam mir vor, die Matadordame aus München hätte recht gehabt, und Simon versuche, sich auf diese Weise zu schützen. Ein bißchen wie die Leute, die lieber Verrückte spielen, als in den Krieg zu müssen. Oder Frauen, die sich häßlich machen, um nicht angequatscht zu werden.
    Es war ein Geheimnis um dieses Kind, das tiefer führte als die Aussage, es sei behindert oder besonders.
    Ich war mir unsicher, ob Simon mir zuhörte. Ob er irgend etwas begriff von dem, was ich sagte. Oder mir vielmehr freundlich zusah, wie ich meine Lippen bewegte. Und im übrigen einfach gewisse Regeln befolgte, etwa die, daß ein hingelegter Pyjama bedeutete, es sei Schlafenszeit. Während die Erwähnung der konkreten Uhrzeit unerheblich blieb.
    In gewissen Abständen geriet er selbst in einen Redefluß. Manchmal, als spreche er mit dem Salzstreuer auf dem Tisch, dann wieder direkt an mich gerichtet. Bisweilen, wenn ich müde war, heuchelte ich Aufmerksamkeit, oft aber war ich konzentriert und darum bemüht, seinen unverständlichen Worten und Lauten zu folgen. In der Hoffnung, Wiederholungen zu bemerken, die dann also ein System nahegelegt hätten. Hin und wieder meinte ich, einen Ausdruck wiederzuerkennen. In etwa.
    Es war, als versuchte ich einen Hund oder eine Katze zu verstehen. Und bei denen sind wir ja auch nicht sicher, ob die jetzt intelligente Wesen sind oder doch nur simple Körper auf vier Beinen.
    Als ich die Aufstellung der Hürden beendet hatte, nahm ich Simon an der Hand, zog ihn sachte auf die Laufbahn und begann zu traben. Er trabte mit. Ich sagte: »Jetzt wärmen wir uns mal auf.«
    »Ich bin schon warm genug.«
    Nicht, daß er das wirklich von sich gegeben hatte. Vielmehr hatte ich gedacht, das sei genau die Antwort, wie ich sie von einem Jungen seines Alters erwartete.
    Es war aber etwas anderes, was er, nachdem wir in die Gegengerade eingebogen waren, laut ausrief. Etwas wie Chaanda-sa-hrck!
    Dabei war er abrupt stehengeblieben und wies jetzt mit dem Arm nach rechts, immer wieder dieses eine Wort aus einem Gewimmel anderer Begriffe und Laute herausrufend. Endlich war eine Wiederholung unverkennbar. Man kann sagen, Simon hatte zwar das Wort »Hürde« nicht gelernt, aber ich den Ausruf »Chaanda-sa-hrck!« Und brauchte jetzt nur noch zu begreifen, was das zu bedeuten hatte.
    Ich blickte in die

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