Der Allesforscher: Roman (German Edition)
seinen kleinen Kopf auf den Jungen richtete. Dabei aber den Hals völlig gerade hielt. In diesem Augenblick meinte ich zu begreifen, daß das Tier dem Kind nichts tun würde.
Über einen Feldweg kam jetzt ein Jeep angefahren, der eine Sandwolke hinter sich herzog. Man konnte meinen, man wäre in Afrika.
»Mensch, was ist das?« vernahm ich Kerstins Stimme in meinem Rücken.
Nicht, daß sie noch nie einen Strauß gesehen hatte.
»Wahrscheinlich ist er ausgebrochen«, sagte ich. »Die haben hier in der Nähe wohl eine Straußenfarm.«
»Und Simon? Versucht er ihn einzufangen?«
»Also ehrlich gesagt, ich glaube eher, er redet mit ihm.«
Denn tatsächlich erkannte ich, wie Simon seinen Mund bewegte. Wegen der Entfernung und wegen des Windes konnte ich nichts verstehen, aber es war eindeutig, daß er zu dem Strauß sprach, der da einen Meter über ihm aufragte. Ob der Strauß nun ebenfalls redete oder einfach nur nach Luft schnappte, hätte ich wirklich nicht sagen können.
Der Wagen hatte angehalten, und mehrere Leute waren ausgestiegen. Zwei trugen lange Stecken mit Schlingen. Einer hielt eine Apparatur, die aussah wie eine zu groß geratene Taschenlampe. Ein automatisches Fangnetz wohl. Sie gaben Geräusche von sich, die das Tier beruhigen beziehungsweise anlocken sollten.
Ein Schrei!
Ich selbst hatte geschrien. Denn für einen Moment hatte ich gedacht, der riesenhafte Vogel würde jetzt doch noch auf Simon zuspringen. In Wirklichkeit aber bewegte er sich an Simon vorbei, ohne diesen im geringsten zu berühren, und ging alsdann in einen raschen Trab und noch rascheren Lauf über. – Daß diese Viecher schnell sein können, ist ja allgemein bekannt. Und war vor Ort deutlich zu erleben. Auch die Fänger beeilten sich, rannten zurück zu ihrem Wagen, wendeten diesen und rauschten wieder davon.
»Abgefahren!« sagte Kerstin.
Ich ging zu Simon und nahm ihn in die Arme. Ich hielt ihn ganz fest. Er hielt mich auch ganz fest. Er spürte wohl, wie sehr ich das jetzt nötig hatte.
Kerstin kam dazu und reichte dem Jungen die Hand. Er nahm sie und lächelte. Kerstin sagte: »Im Zoo schauen sie kleiner aus, finde ich.«
Wir gingen zurück zum Wagen, stiegen ein und fuhren weiter.
Im Radio gaben sie gerade durch, daß ein Strauß entlaufen sei und auf welchen Strecken man die Fahrer zu erhöhter Aufmerksamkeit aufrufe.
»Witzig!« kommentierte Kerstin.
Die Sache war übrigens noch in Deutschland geschehen, für alle, die meinen, so eine Szene zwischen Traum und Wirklichkeit könne sich allein in Österreich zutragen.
23
Doch Österreich kam, und es kam mit den Bergen, für welche dieses Land ja so berühmt ist, obgleich es gar nicht nur aus solchen besteht. Aber ähnlich der Schweiz wird so getan, als handle es sich hierbei um ein europäisches Tibet, ein gewissermaßen nicht von den Chinesen, sondern von den Touristen besetztes Gebiet.
Wir hatten die Fenster offen, so daß der Opel etwas vibrierte. Aber ich fühlte mich jetzt sehr viel sicherer am Steuer, vielleicht wegen der Gewöhnung, vielleicht auch, weil hier alle langsamer fuhren und die ganze Straße sich nicht mehr so nervös anfühlte. Denn Straßen und Autos und Fahrer leben ja ebenfalls in einer Symbiose, wo einer den anderen ansteckt. Im Guten wie im Schlechten.
Nach etwa vier Stunden fuhren wir in Innsbruck ein, wo wir eine erste österreichische Nacht verbringen und uns zuvor noch ein wenig die Stadt ansehen wollten. Das Hotel lag im Zentrum, der Parkplatz im Untergrund, und vom Fenster aus wirkten die Berge ungemein nah, jedoch vom Dunst leicht verhüllt, gedünstet. Den Nachmittag verbrachten wir flanierend in der Altstadt, in welcher die Japaner dominierten. Wie alle anderen standen wir lange vor diesem goldenen Dach. Simon sprang in der üblichen Weise herum, ein imaginäres Laserschwert schwingend. Doch diesmal ließ ich ihn nicht aus den Augen. Wie so viele Eltern schwor ich mir, das soeben Geschehene als Warnung zu begreifen. Als Warnung dafür, was alles passieren konnte, wenn es einmal kein freundlicher Laufvogel wäre, dem das Kind begegnete. Sosehr ich wußte, daß man sein Kind nicht immer und überall schützen konnte, war ich dennoch entschlossen, die Herausforderung des Schicksals anzunehmen. Zumindest ein Auge mußte auf dem Kind bleiben. Gleich einem Aufkleber auf seiner Stirn.
Mit dem anderen Auge betrachtete ich das Dach, welches Dachl hieß und das Wahrzeichen der Stadt bildete. Das Licht fiel günstig und ließ das Gold
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