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Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman

Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman

Titel: Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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fühlte ich mich etwas mehr Herr der Lage, und daher behielt ich sie sechs Wochen lang am Bett, bevor ich die Patronen aus dem Zylinder nahm und die Waffe wieder in den Schrank legte.
    Es war bereits halb eins, und Tequila war noch nicht in unsere Suite zurückgekommen.
    Ich zog mein Merkheft hervor, um die Geschichte zu notieren, und legte meine Waffe auf den Nachttisch, weil ich Geburtstagen immer noch nicht traute. Und ich steckte mir eine Zigarette an – eine davon war mindestens achtundachtzig Kerzen wert. Ich inhalierte tief und wünschte mir Gesundheit.

23
    Am folgenden Morgen fragte ich mich eine ganze Weile lange nach dem Frühstück, ob ich mir wegen meines Enkels vielleicht Sorgen machen sollte, doch da betrat er auch schon die Suite. Er sah entspannt aus und irgendwie selbstzufrieden. Wie schön für ihn, dachte ich, und auch nicht schlecht für mich. Sein Maulen und Nörgeln konnte ich nicht ertragen. Er hatte Aufheiterung gebraucht, und ich war froh, dass er sie gefunden hatte.
    »Sie ist toll, Grandpa. Ich glaube, sie wird dir gefallen.«
    »Klappe!«, gebot ich ihm. So begeistert ich von seinem Glück auch sein mochte, für den heutigen Tag stand etwas anderes auf dem Programm: Die Begegnung mit Ziegler, von Angesicht zu Angesicht. Und ich war nervös.
    Ich warf ihm die Autoschlüssel zu. »Weißt du, wie wir fahren müssen?«
    »Ja«, sagte er. »Ich hab mich bei MapQuest schlau gemacht.«
    Ich hatte keine Ahnung, was er meinte, entschied mich aber, ihm zu vertrauen. Wir erreichten Zieglers Pflegeheim um zwölf Uhr mittags, pünktlich zum High Noon, was mir durchaus passend erschien.
    Der Parkplatz bei Meadowcrest Manor war ausreichend für Besucher und Personal, aber für Bewohner gab es keine Parkmöglichkeiten. Der Lebensabschnitt, in dem sie noch Ausflüge gemacht hatten, schien endgültig der Vergangenheit anzugehören.
    Das Heim war nichts als ein gewöhnliches Apartmenthaus mittlerer Größe, und im Vorbeifahren hätte man es mit einem Hotel verwechseln können. Kein so schönes Hotel wie das Embassy Suites, aber dennoch ein Hotel.
    Neben dem Außeneingang befand sich ein großer Knopf, auf den Besucher drücken mussten, damit sich die Eingangstür auftat. Von innen ließ sie sich nicht öffnen, es sei denn, die korpulente Schwarze am Empfang gab sie mit ihrem Summer frei. Jeder beteuerte, diese Heime seien keine Gefängnisse, aber was auch immer in den Broschüren stehen mochte – die Alten waren eingesperrt. Im Foyer sah alles ganz harmlos aus: hier und da ein Teppich und unförmige Bewohner, die auf unförmigen Sofas oder in ihren Rollstühlen vor sich hin dösten.
    »Hallo zusammen«, sagte die runde Kleine hinter ihrem Empfangstresen. Es klang etwas zu launig. Sie war ebenfalls ziemlich unförmig, eine Masse Mensch in einem grünen Golfhemd mit draufgesticktem Meadowcrest-Monogramm.
    »Haben Sie vor, bei uns einzuziehen, Sir?«
    »Teufel auch, nie und nimmer«, sagte ich. »Ich möchte jemanden besuchen. Sehe ich etwa aus wie einer von den Leuten hier?«
    »Nein«, sagte sie. »Sie sind älter als die meisten.«
    »Ja, und Sie sollten vielleicht das eine oder andere Kilo abnehmen«, entgegnete ich.
    Tequila schob die Hände tief in die Taschen seiner Jeans. »Äh, wir kommen von auswärts und hoffen, einen Mann zu finden, den mein Großvater aus Kriegszeiten kennt«, sagte er. »Wir glauben, dass er hier wohnt. Er heißt Henry Winters.«
    Die Kleine zog die Augenbrauen zusammen. »Nie von ihm gehört.«
    »Er wohnt hier schon seit mehr als fünfzehn Jahren«, sagte Tequila.
    »Ich bin auch schon eine ganze Weile hier und kenne sie fast alle, aber von einem Henry Winters hab ich noch nie gehört«, sagte sie. »Sind Sie sicher, dass er noch lebt?«
    »Haben Sie nicht irgendeine Möglichkeit, die Sache zu überprüfen?«, fragte Tequila.
    Sie gab den Namen in den Computer ein, der auf ihrem Tischstand, und hob eine Augenbraue, denn anscheinend überraschte der Rechner sie mit seiner Antwort.
    »Oh«, sagte sie. »Er ist in der Demenz. Die Leute seh ich nicht so oft. Raus darf er sowieso nicht, und Besuch bekommt er nie.«
    »Was soll das heißen: Er ist in der Demenz?«, fragte ich.
    Wie sich herausstellte, hatte Meadowcrest Manor als Hausgemeinschaft mit Rundumbetreuung für aktive Senioren hinter einer weiteren Reihe verschlossener Türen eine Spezialabteilung für diejenigen unter den aktiven Senioren, die nicht selbstständig essen und sich nicht allein um ihre Körperhygiene

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