Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman
kümmern konnten. Am allerwenigsten war ihnen anscheinend zuzutrauen, sich im Straßenverkehr zurechtzufinden.
Die Kleine von der Rezeption führte uns aus der Lobby und durch den Hauptspeisesaal zu einer unscheinbar aussehenden, verschlossenen Doppeltür und tippte eine Codenummer in die Zahlentastatur am Türrahmen.
»Wir können Familienmitgliedern den Code weitergeben, damit sie ein- und ausgehen können, wie sie möchten«, erklärte sie. »Es tut den Bewohnern gut, die Gäste kommen und gehen zu sehen.«
»Was geschieht, wenn die Insassen den Code erfahren?«, fragte ich.
»Völlig egal«, sagte sie. »Die können ihn sich eh nicht merken. Oder wissen nicht mehr, wozu er gut ist.«
Das Schloss klickte, und Tequila stieß die Tür auf.
Mit ihrem deprimierenden kleinen Empfangsbereich wirkte die Demenzstation wie ein tieferer Kreis der Pflegeheimhölle Meadowcrest Manor.
Jemand hatte mit allergrößter Mühe zu verhindern versucht, diesen Ort nach Krankenhaus aussehen zu lassen. Die Wände waren mit Bildern in leuchtenden Farben geschmückt, und Beistelltische mit Topfpflanzen standen verstreut in den frei zugänglichen Bereichen. Große Fenster ließen sehr viel Sonnenlicht herein. Aber es lag kein Teppich auf dem Fußboden, anallen Wänden liefen Rollstuhlpufferleisten entlang, und die Sofas waren mit einem Material überzogen, das nach Plastik aussah und wahrscheinlich leicht zu säubern war. Die dementen Bewohner sahen rundum bedauernswert aus. Die meisten von ihnen trugen ausgebeulte Trainingsanzüge, und viele davon waren übersät mit Essensflecken. Die junge Frau vom Empfang überließ uns einer Schwester in Krankenhauskittel, die für die Demenzkranken zuständig war, und kehrte an ihren Arbeitsplatz zurück.
»Willkommen in unserem Heim«, sagte die Krankenschwester, nicht ohne mich mit einem warmherzigen Lächeln zu bedenken. Alle waren sie guter Dinge in Meadowcrest Manor und gingen einem damit gehörig auf die Nerven. »Haben Sie die Absicht, bei uns einzuziehen?«
»Eher geb ich mir die Kugel, als dass ich in einen Laden wie diesen hier einziehe«, sagte ich.
»Ich möchte was essen«, sagte ein Mann im schmuddeligen blauen Sweatshirt, der auf einem der Sofas saß. »Wann gibt es Mittag?«
»Sie haben erst vor zwanzig Minuten Ihr Mittagessen bekommen«, klärte ihn die Schwester auf.
»Hab ich nicht«, protestierte er. »Daran würde ich mich erinnern.«
»Stoßen Sie doch mal auf und überprüfen, ob Sie noch den Eiersalat schmecken können«, riet sie ihm.
Er gab einen zweckdienlichen Rülpser von sich und machte es sich befriedigt wieder bequem.
»Also«, sagte die Schwester. »Sie sind hier, um Mister Winters zu besuchen?«
»Ja«, sagte ich. »Henry Winters.«
Sie musterte mich und sagte: »Sie sind ungefähr so alt wie er?«
Ich nickte.
»Die ältesten Alten, die so um die neunzig sind, bilden hier bei uns in Meadowcrest eines der am schnellsten wachsendendemographischen Segmente, und wir sind Experten darin, deren ganz speziellen Bedürfnissen entgegenzukommen«, erklärte mir die Schwester. Immer wollten sie dir an solchen Orten ihr Angebot schmackhaft machen. »Sie müssen wissen, dass ungefähr ein Drittel aller Männer Ihres Alters an erheblicher Demenz leidet, und bei denjenigen, die noch weitere fünf Jahre leben, verdoppelt sich der Prozentsatz sogar. Wenn Sie bei guter Gesundheit sind und damit rechnen, noch lange zu leben, sollten Sie Ihren langfristigen persönlichen Pflegeplan entwerfen, solange Sie dazu noch in der Lage sind.«
Zwischen zusammengebissenen Zähnen zischte ich ihr zu: »Ich bin nur wegen Henry Winters hier.«
»Was Mister Winters betrifft, so musste ein Richter entscheiden, wo er untergebracht werden sollte, als er nicht mehr in der Lage war, für sich selbst zu sorgen. Aber so wie er möchte man wirklich nicht enden. Niemand hat den armen Mann je besucht. Es gibt viele Tage, da ist es schwierig, ihn überhaupt aus seinem Zimmer zu holen. Ich bin froh, dass Sie gekommen sind. Der Besuch wird ihm guttun.«
»Ein Besuch meines Großvaters wird für jeden zum Freudentag«, versicherte ihr Tequila.
»Okay. Bevor sie ihn treffen, muss ich gewisse Warnungen aussprechen, weil Sie zum ersten Mal unsere Einrichtung aufsuchen«, sagte sie. Sie sah mich an. »Ich bin sicher, über das meiste sind Sie schon informiert. Wahrscheinlich haben Sie in Ihrem Bekanntenkreis einige Herrschaften, die an der Lebensart Gefallen finden, die Einrichtungen wie
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