Der alte Mann und das Meer
Holz, um warm zu bleiben. – Ich kann es so lange aushaken wie er, dachte er. Und im ersten Dämmerlicht lief die Leine hinaus und hinunter ins Wasser. Das Boot bewegte sich stetig, und als der äußerste Saum der Sonne auf tauchte, stand er auf der rechten Schulter des alten Mannes.
»Er nimmt jetzt Kurs nach Norden«, sagte der alte Mann. – Die Strömung wird uns weit ostwärts abgedrängt haben, dachte er. Ich wünschte, er würde mit der Strömung wenden. Das würde zeigen, daß er allmählich müde wird.
Als die Sonne höher stand, war es dem alten Mann klar, daß der Fisch nicht müde wurde. Es gab nur ein günstiges Anzeichen. Die Neigung der Leine zeigte, daß er in geringerer Tiefe schwamm. Das hieß nicht unbedingt, daß er springen würde. Aber möglich war’s.
»Herrgott, laß ihn springen«, sagte der alte Mann. »Ich hab genug Leine, um ihn zu drillen.«
Vielleicht, wenn ich die Spannung gerade ein bißchen verstärken kann, wird es ihm weh tun, und er wird springen, dachte er. Jetzt, wo es Tageslicht ist, soll er springen, so daß er die Luftsäcke unterhalb der Wirbelsäule mit Luft füllt, und dann kann er nicht tief hinabziehen, um zu sterben.
Er versuchte, die Spannung zu verstärken, aber die Leine war bis zum Zerreißen straff gespannt, seit er den Fisch angehauen hatte, und er fühlte die Härte, als er sich zurücklehnte, um zu ziehen, und wußte, daß sie keinen weiteren Druck aushaken würde. – Ich darf nicht etwa an ihr reißen, dachte er. Jeder Ruck erweitert die Wunde, die der Haken gemacht hat, und wenn er dann wirklich springt, wirft er ihn vielleicht ab. Jedenfalls fühle ich mich jetzt in der Sonne wohler, und ausnahmsweise brauche ich nicht in sie hineinzusehen.
An der Leine hing gelber Seetang, aber der alte Mann wußte, daß dies ein zusätzliches Gewicht war, und er war froh darüber. Es war der gelbe Golftang, der nachts so stark phosphoresziert hatte. – »Fisch«, sagte er, »ich liebe dich und achte dich sehr. Aber ich töte dich bestimmt, ehe dieser Tag zu Ende ist.«
Hoffentlich, dachte er.
Ein kleiner Vogel näherte sich dem Boot von Norden. Es war ein Baumschlüpfer, der sehr niedrig über dem Wasser flog. Der alte Mann konnte sehen, daß er sehr müde war.
Der Vogel setzte sich auf das Heck des Boots und ruhte sich dort aus. Dann umflog er den Kopf des alten Mannes und ruhte sich auf der Leine aus, wo er bequemer saß.
»Wie alt bist du?« fragte der alte Mann den Vogel. »Ist dies deine erste Reise?«
Der Vogel blickte ihn an, als er sprach. Er war zu müde, um auch nur die Leine zu untersuchen, und er schwankte hin und her, als sich seine zarten Krallen an ihr festklammerten.
»Die ist straff«, sagte der alte Mann zu ihm. »Die ist sogar zu straff. Nach einer windstillen Nacht solltest du nicht so müde sein. Was wird aus euch Vögeln?«
Die Falken, dachte er, die aufs Meer hinausfliegen, um euch zu treffen. Aber er sagte davon nichts zu dem Vogel, der ihn sowieso nicht verstehen konnte und der die Falken früh genug kennenlernen würde.
»Ruh dich gut aus, kleiner Vogel«, sagte er. »Und dann flieg los und versuch dein Glück wie jeder Mann, wie jeder Vogel oder Fisch.«
Das Reden tat ihm gut, weil sein Rücken in der Nacht steif geworden war und ihm jetzt wirklich weh tat.
»Bleib in meiner Behausung, wenn du willst, Vogel«, sagte er. »Es tut mir leid, daß ich das Segel nicht hissen kann, um dich mit der schwachen Brise, die aufkommt, an Land zu bringen. Aber ich bin mit einem Freund zusammen.«
In diesem Augenblick zog der Fisch plötzlich seitwärts, so daß es den alten Mann auf den Steven hinunterriß und er über Bord gerissen worden wäre, wenn er nicht das Gleichgewicht gehalten und ziemlich viel Leine gegeben hätte. Der Vogel war aufgeflogen, als die Leine anruckte, und der alte Mann hatte ihn noch nicht einmal wegfliegen sehen. Er tastete die Leine sorgfältig mit seiner rechten Hand ab und bemerkte, daß seine Hand blutete.
»Irgend etwas hat ihm also weh getan«, sagte er laut und zog an der Leine, um festzustellen, ob er den Fisch zum Wenden bringen konnte. Aber als er ihre äußerste Spannungsgrenze erreicht hatte, fixierte er sie und lehnte sich gegen den Zug der Leine zurück.
»Jetzt fühlst du’s, Fisch«, sagte er. »Und ich auch, weiß Gott.«
Er blickte sich jetzt nach dem Vogel um, weil er ihn gern zur Gesellschaft gehabt hätte. Der Vogel war fort.
Du bist nicht lange geblieben, dachte der Mann. Und bis du ans
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