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Der alte Mann und das Meer

Der alte Mann und das Meer

Titel: Der alte Mann und das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Tiefe, und seine lavendelfarbenen, weit ausgespreizten Flügel, die seine Brustflossen waren, und alle seine breiten, lavendelfarbenen Streifen waren zu sehen. Er war prächtig, entsann sich der alte Mann, und er war dageblieben.
    Das war das Traurigste, was ich je mit ihnen erlebt habe, dachte der alte Mann.
    Auch der Junge war traurig, und wir baten sie um Verzeihung und schlachteten sie umgehend.
    »Ich wünschte, der Junge wäre hier«, sagte er laut und lehnte sich gegen die gerundeten Planken im Bug und fühlte die Stärke des großen Fisches durch die Leine, die er quer über den Schultern hielt, und wie er stetig auf das zusteuerte, was immer er sich als Ziel gewählt hatte.
    Da es nun mal durch meine Hinterlist für ihn notwendig geworden ist, eine Wahl zu treffen, dachte der alte Mann.
    Nach seiner Wahl wäre er weit draußen, jenseits aller Schlingen und Fallen und Tücken, in dem tiefen, dunklen Wasser geblieben. Meine Wahl war, dorthin zu fahren und ihn zu finden, ich und kein anderer Mensch. Ich und kein anderer Mensch auf der Welt. Jetzt sind wir aneinandergekettet und sind es seit Mittag.
    Und niemand ist da, um einem von uns zu helfen.
    Vielleicht hätte ich nicht Fischer werden sollen, dachte er. Aber dafür bin ich geboren. Sobald es hell wird, muß ich bestimmt dran denken und den Thunfisch essen.
    Kurz bevor es hell wurde, schnappte irgend etwas nach einem der Köder, die hinter ihm waren. Er hörte, wie der Stock zerbrach und die Leine über das Dollbord des Bootes davonsauste. In der Dunkelheit lockerte er sein in der Scheide steckendes Messer und nahm den ganzen Druck, der von dem Fisch ausging, auf seine linke Schulter, lehnte sich rückwärts und durchschnitt die Leine am Holz des Dollbords. Dann durchschnitt er die andere Leine, die ihm am nächsten war, und befestigte in der Dunkelheit die losen Enden der Reserveleinen.
    Er arbeitete geschickt mit einer Hand und setzte den Fuß auf die Buchten, um sie festzuhalten, während er die Knoten anzog. Jetzt hatte er sechs aufgeschossene Reserveleinen. Es waren zwei von jedem Köder, die er abgeschnitten hatte, und die zwei von dem Köder, den der Fisch genommen hatte, und sie waren alle miteinander verbunden.
    Wenn es hell ist, dachte er, will ich zu dem Vierzig-Faden-Köder zurückrudern und auch den losschneiden und die Reserveleinen anschlingen. Ich werde zweihundert Faden von guter katalanischer
cordel
und die Haken und die Ösen einbüßen. Das kann ersetzt werden. Aber wer ersetzt mir diesen Fisch, falls ein Fisch anbeißt und ihn abschneidet? Ich weiß nicht, was das für ein Fisch war, der gerade eben den Köder genommen hat. Es kann ein Marlin oder ein breitmäuliger Schwertfisch oder ein Hai gewesen sein. Ich hab ihn nicht gefühlt.
    Ich mußte ihn zu schnell loswerden.
    Laut sagte er: »Ich wünschte, ich hätte den Jungen da.«
    Aber du hast den Jungen nicht da, dachte er. Du hast nur dich selbst, und du sollst dich jetzt lieber zu der letzten Leine zurückarbeiten, ob’s dunkel ist oder nicht, und sie wegschneiden und die zwei Reserveleinen miteinander verbinden.
    Also tat er das. Es war schwierig in der Dunkelheit, und einmal verursachte der Fisch eine riesige Welle, die ihn der Länge nach niederzwang und ihm eine Schnittwunde unter dem Auge beibrachte. Das Blut lief ein Stückchen über seine Backe herunter. Aber es gerann und trocknete, bevor es sein Kinn erreicht hatte, und er arbeitete sich zurück in die Vorplicht und lehnte sich gegen das Holz. Er rückte den Sack zurecht und manövrierte behutsam mit der Leine, so daß sie über eine andere Stelle seiner Schultern lief, und während er sie mit den Schultern verankert hielt, stellte er sorgfältig fest, wie stark der Fisch zog, und stellte dann mit der Hand fest, wieviel Fahrt das Boot im Wasser machte.
    Warum er wohl plötzlich so einen Seitwärtsruck gemacht hat, dachte er. Der Draht muß auf seinem großen, hügeligen Rücken gerutscht sein. Bestimmt tut ihm sein Rücken nicht so weh wie mir meiner. Aber er kann das Boot nicht ewig ziehen, und wenn er noch so groß ist. Jetzt ist alles beseitigt, was Unheil anrichten könnte, und ich habe einen großen Vorrat an Leine; alles, was ein Mensch verlangen kann.
    »Fisch«, sagte er leise und vernehmlich, »ich bleibe bei dir, bis ich tot bin.«
    Ich nehme an, daß er auch bei mir bleiben wird, dachte der alte Mann, und er wartete darauf, daß es hell wurde. Jetzt, vor Morgengrauen, war es kalt, und er drängte sich gegen das

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