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Der alte Mann und das Meer

Der alte Mann und das Meer

Titel: Der alte Mann und das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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zeigen, was ein Mann tun kann und was ein Mann aushält.
    »Ich hab dem Jungen gesagt, daß ich ein merkwürdiger alter Mann bin«, sagte er. »Jetzt ist der Augenblick, wo ich’s beweisen muß.« Die tausend Male, die er’s bewiesen hatte, bedeuteten nichts. Jetzt bewies er’s von neuem. Jedes Mal war ein neues Mal, und er dachte niemals an die Vergangenheit, wenn er es tat.
    Ich wünschte, er würde schlafen, und ich könnte schlafen und von den Löwen träumen, dachte er. Warum sind die Löwen das Wichtigste, was übrig ist? Denk jetzt nicht, alter Freund, sagte er zu sich selbst. Lehn dich jetzt friedlich gegen das Holz und denk an nichts. Er arbeitet. Tu so wenig wie möglich.
    Es wurde Nachmittag und das Boot bewegte sich immer noch langsam und stetig. Aber jetzt wirkte die östliche Brise zusätzlich wie eine Bremse, und der alte Mann trieb gemächlich auf der schwachen Dünung, und der Schmerz von der Schnur über seinem Rücken war leicht und gleichförmig.
    Einmal im Laufe des Nachmittags begann sich die Leine wieder zu heben, aber der Fisch schwamm nur in einer etwas geringeren Tiefe weiter. Die Sonne stand auf dem linken Arm und der linken Schulter des alten Mannes und auf seinem Rücken. Dadurch wußte er, daß der Fisch nach Nord zu Ost gedreht hatte.
    Jetzt, nachdem er ihn einmal gesehen hatte, konnte er sich den Fisch mit den violetten Brustflossen, die sich wie Flügel spreizten, und dem großen, aufgerichteten Schwanz, der die Dunkelheit zerteilte, im Wasser schwimmend vorstellen. – Wieviel er wohl in jener Tiefe sehen kann, dachte der alte Mann.
    Sein Auge ist riesengroß, und ein Pferd mit viel kleineren Augen kann in der Dunkelheit sehen. Früher konnte ich ganz gut in der Dunkelheit sehen. Nicht in völliger Dunkelheit. Aber beinah so, wie eine Katze sieht.
    Die Sonne und die stetige Bewegung seiner Finger hatten seine linke Hand jetzt vollständig entkrampft, und er suchte mehr Druck auf sie abzuwälzen, und er bewegte die Rückenmuskeln, um den Schmerz von der Schnur ein wenig zu verlagern.
    »Wenn du nicht müde bist, Fisch«, sagte er laut, »mußt du ein sehr merkwürdiger Fisch sein.« Er fühlte sich sehr müde, und er wußte, daß die Nacht bald kommen würde, und er suchte an andere Dinge zu denken. Er dachte an die großen Ligen – für ihn waren es die
Gran Ligas
–, und er wußte, daß die »Yankees« von New York gegen die »Tiger« von Detroit spielten.
    Dies ist schon der zweite Tag, an dem ich nicht das Resultat der
juegos
weiß, dachte er. Aber ich muß zuversichtlich sein, und ich muß mich des großen DiMaggio würdig zeigen, der immer alle Dinge vollkommen tut, selbst mit dem Schmerz vom Knochensporn im Hacken. Was ist ein Knochensporn? fragte er sich.
Un espuela de hueso
. So was haben wir nicht. Ob es wohl so weh tut, wie wenn man den Sporn eines Kampfhahns im eigenen Hacken hat? Ich glaube nicht, daß ich das ertragen könnte, ohne den Verlust eines Auges oder von beiden Augen, und dann weiterkämpfen, wie die Kampfhähne es tun. Der Mensch ist nicht viel neben den großen Raubvögeln und wilden Tieren. Trotzdem, am liebsten wäre ich das Tier dort unten in der Dunkelheit des Meeres.
    »Außer wenn Haie kommen«, sagte er laut, »wenn Haie kommen, dann gnade Gott ihm und mir.«
    Ob wohl der große DiMaggio so lange mit einem solchen Fisch aushaken würde, wie ich mit diesem hier aushaken werde, dachte er. Sicherlich würde er’s und noch länger, weil er jung und stark ist. Außerdem war sein Vater ein Fischer.
    Oder würde der Knochensporn ihm zu weh tun?
    »Ich weiß es nicht«, sagte er laut. »Ich habe nie einen Knochensporn gehabt.«
    Als die Sonne unterging, dachte er, um sich mehr Selbstvertrauen zu geben, an die Zeit in der Taverne von Casablanca zurück, als er das Fingerspiel mit dem mächtigen Neger aus Cienfuegos, der der stärkste Mann in den Docks war, gespielt hatte. Es hatte einen Tag und eine Nacht gedauert, mit den Ellbogen auf einer Kreidelinie auf dem Tisch und steil aufgerichteten Unterarmen und fest ineinanderverkrampften Händen. Alle beide hatten versucht, die Hand des andern auf den Tisch hinunterzuzwingen. Es wurden eine Menge Wetten abgeschlossen, und die Leute gingen unter den Kerosinlampen im Zimmer ein und aus, und er hatte sich den Arm und die Hand des Negers genau betrachtet und auch das Gesicht des Negers. Nach den ersten acht Stunden wurden alle vier Stunden die Schiedsrichter gewechselt, damit die Schiedsrichter schlafen konnten.

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