Der alte Mann und das Meer
niemand, der’s wert ist, ihn zu essen, wenn man die Art seines Verhaltens und seine ungeheure Würde bedenkt.
Ich verstehe diese Dinge nicht, dachte er. Aber es ist gut, daß wir nicht versuchen müssen, die Sonne oder den Mond oder die Sterne zu töten. Es ist schlimm genug, von der See zu leben und unsere eigenen Brüder zu töten.
Jetzt, dachte er, muß ich über die Bremse nachdenken. Sie hat ihre Gefahren und ihre Vorzüge. Vielleicht verliere ich so viel Leine, daß ich
ihn
verliere, sobald er wirklich loszieht und die von den Riemen hergestellte Bremse in Aktion tritt und das Boot seine ganze Leichtigkeit verliert. Seine Leichtigkeit verlängert unser Leiden, seins und meins, aber es ist meine Sicherung, da er über eine ungeheure Geschwindigkeit verfügt, die er bisher noch nicht benutzt hat. Ganz gleich, was passiert, ich muß die Makrele ausweiden, damit sie nicht verdirbt, und etwas von ihr essen, damit ich bei Kräften bleibe.
Jetzt will ich mich noch eine Stunde ausruhen und mich überzeugen, daß er ruhig und stetig ist, bevor ich ins Heck zurückgehe, um das Notwendige zu tun und meinen Entschluß zu fassen. Inzwischen kann ich sehen, wie er sich benimmt und ob er irgendwelche Veränderungen zeigt. Das mit den Riemen ist ein guter Trick, aber die Zeit ist gekommen, wo man nichts riskieren darf. Er ist immer noch ein Kerl von einem Fisch, und ich hab gesehen, daß der Haken in einer Ecke seines Maules saß und er sein Maul fest zugeklemmt hielt. Der Haken setzt ihm gar nicht zu, aber der Hunger setzt ihm arg zu, und daß er sich einer Sache gegenübersieht, die er nicht versteht. Ruh dich jetzt aus, alter Freund, und laß ihn arbeiten, bis deine nächste Aufgabe drankommt.
Er glaubte, daß er sich ungefähr zwei Stunden ausgeruht hatte. Der Mond ging jetzt erst spät auf, und er hatte nichts, um die Zeit festzustellen. Er ruhte sich auch nicht richtig aus, sondern nur vergleichsweise. Er ertrug immer noch das Ziehen des Fisches über den Schultern, aber er legte die Hand jetzt auf das Dollbord des Bugs und vertraute mehr und mehr von dem Widerstand gegen den Fisch dem Boot an.
Wie einfach es sein würde, wenn ich die Leine festmachen könnte, dachte er.
Aber mit einem kleinen Ruck könnte er sie zerreißen. Ich muß das Ziehen der Leine mit meinem Körper wie mit einem Polster abfangen und jederzeit bereit sein, mit beiden Händen Leine zu geben.
»Aber du hast noch nicht geschlafen, alter Freund«, sagte er laut. »Es ist ein halber Tag und eine Nacht und jetzt wieder ein Tag, und du hast nicht geschlafen.
Du mußt dir etwas ausdenken, damit du ein bißchen schläfst, wenn er ruhig und stetig schwimmt. Wenn du nicht schläfst, kannst du wirr im Kopf werden.«
Mein Kopf ist ganz klar, dachte er. Zu klar. Er ist so klar wie die Sterne, die meine Brüder sind. Trotzdem muß ich schlafen. Sie schlafen, und der Mond und die Sonne schlafen, und selbst der Ozean schläft manchmal an gewissen Tagen, wenn keine Strömung steht und es windstill ist.
Aber vergiß nicht zu schlafen, dachte er. Tu es auch bestimmt und denk dir irgendeine sichere und einfache Geschichte mit den Leinen aus. Jetzt geh nach achtern und mach die Makrele zurecht. Es ist zu gefährlich, die Riemen als Bremse zu takeln, wenn du schlafen mußt.
Ich könnte ohne Schlaf auskommen, sagte er zu sich. Aber es wäre zu gefährlich.
Er begann, sich auf Händen und Knien nach achtern zurückzuarbeiten, vorsichtig, um nicht gegen den Fisch anzurucken. – Vielleicht schläft auch er halb, dachte er. Aber ich will nicht, daß er sich ausruht. Er muß ziehen, bis er stirbt.
Als er wieder im Heck war, drehte er sich um, so daß seine linke Hand den Druck der Leine, die über seine Schultern lief, hielt, und zog mit der rechten Hand sein Messer aus der Scheide. Die Sterne glänzten jetzt hell, und er sah die Goldmakrele deutlich, und er stieß ihr die Klinge des Messers in den Kopf und zog sie unter dem Heck hervor. Er setzte den einen Fuß auf den Fisch und schlitzte ihn schnell vom After bis zum Unterkiefer auf. Dann legte er sein Messer hin und entweidete ihn mit der rechten Hand, nahm ihn sauber aus und riß ihm die Kiemen heraus. Der Magen lag schwer und schlüpfrig in seinen Händen, und er schlitzte ihn auf. Innendrin waren zwei fliegende Fische. Sie waren frisch und fest, und er legte sie nebeneinander und ließ die Eingeweide und die Kiemen übers Heck fallen. Sie sanken und hinterließen eine leuchtende Spur im Wasser. Die
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