Der alte Mann und das Meer
kreisen. Der alte Mann holte jetzt stetig Leine ein. Aber er fühlte sich wieder schwindlig. Er schöpfte mit seiner linken Hand etwas Seewasser und goß es sich über den Kopf. Dann goß er noch mehr drauf und rieb sich den Nacken.
»Ich habe keine Krämpfe«, sagte er. »Bald wird er oben sein, und ich kann es durchstehen. Du mußt es durchstehen. Darüber ist gar nicht zu reden.«
Er kniete in der Vorplicht, und einen Augenblick lang streifte er die Leine wieder über den Rücken. Ich werd mich jetzt ausruhen, während er den Kreis ausschwimmt, beschloß er, und dann aufstehen und ihn drillen, wenn er näher kommt.
Es war eine große Versuchung, sich in der Flicht auszuruhen und den Fisch einen Kreis allein machen zu lassen, ohne etwas Leine zurückzuerobern. Aber als der Druck andeutete, daß der Fisch gewendet hatte und sich dem Boot wieder näherte, stand der alte Mann auf und begann das Drehen und schwingende Ziehen, durch das er die Leine hereinbekam, die er dem Fisch abgewann.
Ich bin müder, als ich je gewesen bin, dachte er, und jetzt kommt der Passatwind auf. Aber das wird gut sein, um ihn nachher reinzuschleppen. Den brauche ich dringend.
»Ich werde mich bei der nächsten Wendung, wenn er rausschwimmt, ausruhen«, sagte er. »Ich fühl mich viel besser. Noch zwei oder drei Wendungen, und ich werd ihn haben.«
Sein Strohhut saß ihm weit hinten auf dem Kopf, und die straff werdende Leine zog den alten Mann in die Flicht hinunter, als er fühlte, wie der Fisch wendete.
Arbeit du jetzt, Fisch, dachte er. Ich werde dich drillen, wenn du wendest.
Die See war wesentlich bewegter. Aber es war eine Schönwetterbrise, und die brauchte er, um nach Haus zu kommen.
»Ich werd einfach nach Süden und Westen steuern«, sagte er. »Auf See ist ein Mann nie verloren, und die Insel ist groß.«
Bei der dritten Wendung sah er den Fisch zum erstenmal.
Er sah ihn zuerst als dunklen Schatten, der so lange brauchte, um unter dem Boot hindurchzukommen, daß er es kaum glauben konnte.
»Nein«, sagte er. »So groß kann er nicht sein.« Aber er war so groß, und nach Beendigung dieses Kreises kam er noch keine dreißig Meter weit entfernt an die Oberfläche, und der alte Mann sah seinen Schwanz aus dem Wasser ragen. Er war größer als ein großes Sensenblatt und ganz hell lavendelfarben über dem dunkelblauen Wasser. Er fiel zurück, und da der Fisch dicht unterhalb der Oberfläche schwamm, konnte der alte Mann seinen riesigen Umfang und die violetten Streifen, die ihn umgürteten, sehen. Seine Rückenflosse war angelegt, und seine riesigen Bauchflossen waren weit gespreizt.
Bei diesem Kreis konnte der alte Mann das Auge des Fisches sehen und die zwei grauen Saugfische, die um ihn herumschwammen. Manchmal schlössen sie sich ihm an. Manchmal schössen sie fort. Manchmal schwammen sie leicht in seinem Schatten. Sie waren jeder über drei Fuß lang, und wenn sie schnell schwammen, schnellten sie wie Aale ihren ganzen Körper vorwärts.
Der alte Mann schwitzte jetzt, aber noch von etwas anderem als von der Sonne. Bei jeder ruhigen, gelassenen Wendung, die der Fisch machte, gewann er Leine, und er war sicher, daß er nach zwei weiteren Wendungen eine Chance haben würde, seine Harpune in ihn hineinzustoßen.
Aber ich muß ihn ganz, ganz dicht dran haben, dachte er. Ich darf nicht auf den Kopf zielen, ich muß das Herz treffen.
»Sei ruhig und stark, alter Freund«, sagte er.
Beim nächsten Kreis war der Rücken des Fisches draußen, aber er war ein wenig zu weit vom Boot entfernt. Beim nächsten Kreis war er noch zu weit entfernt, aber er war höher aus dem Wasser heraus, und der alte Mann war sicher, daß er nur noch etwas Leine hereinbekommen mußte, um ihn längsseits zu kriegen.
Er hatte seine Harpune lange vorher aufmontiert, und ihre Rolle von dünnem Tau war in einem runden Korb, und das Ende war im Beting in der Flicht befestigt.
Der Fisch kam jetzt, als er seinen Kreis beschrieb, ruhig und wunderschön aussehend, heran, und nur sein großer Schwanz bewegte sich. Der alte Man zog, so stark er konnte, um ihn näher heranzuholen. Einen Augenblick lang legte sich der Fisch ein wenig um auf die Seite. Dann richtete er sich auf und begann einen neuen Kreis.
»Ich hab ihn gedreht«, sagte der alte Mann. »Eben hab ich ihn gedreht.«
Jetzt fühlte er sich wieder schwindlig, aber er hielt den großen Fisch, so weit er konnte, im Druck. – Ich hab ihn gedreht, dachte er. Vielleicht kann ich ihn diesmal
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