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Der alte Mann und das Meer

Der alte Mann und das Meer

Titel: Der alte Mann und das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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stetig, und das Boot bewegte sich in den Wolkentunnel hinein.
    Er wachte auf, als seine rechte Faust ihm mit einem Ruck ins Gesicht fuhr und die Leine glühheiß durch seine rechte Hand davonraste. Er fühlte seine linke Hand nicht, aber er bremste, so stark er konnte, mit der rechten, und die Leine raste weg. Schließlich faßte seine linke Hand die Leine, und er lehnte sich gegen die Leine zurück, und jetzt brannte sie auf seinem Rücken und in seiner linken Hand, und seine linke Hand hatte den ganzen einschneidenden Druck zu ertragen. Er blickte auf die Reserveleine, die reibungslos ablief. In dem Augenblick sprang der Fisch und riß den Ozean gewaltig auf und fiel dann schwer zurück. Dann sprang er wieder und wieder, und das Boot fuhr schnell, obwohl immer noch Leine wegraste und der alte Mann den Druck bis zum Zerreißen steigerte und er ihn wieder und wieder bis zum Zerreißen steigerte. Er war in die Flicht hinuntergerissen worden und lag mit dem Gesicht in dem abgeschnittenen Stück Makrele, und er konnte sich nicht rühren.
    Darauf haben wir gewartet, dachte er. Jetzt heißt es durchhalten.
    Für die Leine soll er aber zahlen, dachte er. Dafür soll er zahlen.
    Er konnte die Sprünge des Fisches nicht sehen, sondern hörte nur das Aufbrechen des Ozeans und das schwere Klatschen, wenn er zurückfiel. Die wegsausende Leine schnitt furchtbar in seine Hände, aber er hatte immer gewußt, daß das passieren würde, und er bemühte sich, die Leine über die schwieligen Stellen laufen zu lassen und zu verhindern, daß sie in die Handflächen rutschte oder in seine Finger schnitt. – Wenn der Junge da wäre, würde er die Leine anfeuchten, dachte er. Ja, wenn der Junge da wäre. Wenn der Junge da wäre.
    Die Leine zog hinaus und hinaus und hinaus, aber sie lief jetzt langsamer, und er zwang den Fisch, sich jeden Zentimeter zu erkämpfen. Jetzt kriegte er seinen Kopf vom Holz hoch, aus dem Stück Fisch heraus, das seine Backe zerquetscht hatte. Dann war er auf den Knien, und dann stand er langsam auf. Er gab Leine ab, aber die ganze Zeit über langsamer. Er arbeitete sich dorthin zurück, wo er mit seinem Fuß die Reserveleine fühlen konnte, die er nicht sehen konnte. Er hatte noch reichlich Leine, und jetzt mußte der Fisch die Reibung von all der neuen Leine durch das Wasser ziehen.
    Ja, dachte er. Und jetzt ist er häufiger als ein dutzendmal gesprungen und hat die Luftsäcke in seinem Rücken mit Luft gefüllt, und er kann nicht tief hinunterziehen, um zu sterben, von wo ich ihn nicht wieder raufholen kann.
    Bald wird er zu kreisen anfangen, und dann muß ich ihn drillen. Was ihn wohl so plötzlich zum Losgehen gebracht hat? Kann ihn der Hunger zur Verzweiflung getrieben haben, oder hat ihn irgend etwas in der Nacht geängstigt? Vielleicht hat er plötzlich Angst gehabt. Aber er war solch ein ruhiger, starker Fisch, und er schien so furchtlos zu sein und so zuversichtlich. Es ist merkwürdig.
    »Sei du lieber selbst furchtlos und zuversichtlich, alter Freund«, sagte er. »Du hältst ihn wieder, aber du kriegst keine Leine rein. Aber bald muß er kreisen.«
    Der alte Mann hielt ihn jetzt mit seiner linken Hand und seinen Schultern und bückte sich hinunter und schöpfte mit der rechten Hand Wasser, um das zerquetschte Makrelenfleisch von seinem Gesicht abzukriegen. Er hatte Angst, daß ihm davon übel werden könne und er erbrechen und dadurch Kraft verlieren würde. Als sein Gesicht gesäubert war, wusch er seine Hand im Wasser über Bord und ließ sie dann im Salzwasser, während er das Kommen der Dämmerung beobachtete, ehe die Sonne aufging. – Er nimmt beinah Kurs nach Osten, dachte er. Das bedeutet, daß er müde ist und mit der Strömung schwimmt. Bald wird er kreisen müssen. Dann beginnt die wirkliche Arbeit.
    Als er fand, daß seine rechte Hand lang genug im Wasser gewesen war, nahm er sie heraus und besah sie sich.
    »Es ist nicht schlimm«, sagte er. »Und Schmerzen machen einem Mann nichts.«
    Er ergriff behutsam die Leine, damit sie nicht in irgendeinen der frischen Schnitte rutschte, und verlagerte sein Gewicht so, daß er seine linke Hand auf der andern Seite des Boots in die See halten konnte.
    »Für etwas Wertloses hast du dich gar nicht so schlecht gehalten«, sagte er zu seiner linken Hand. »Aber es gab einen Augenblick, wo du nicht da warst.«
    Warum bin ich nicht mit zwei guten Händen geboren? dachte er. Vielleicht war es meine Schuld, weil ich die da nicht ordentlich trainiert habe.

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