Der alte Mann und das Meer
Aber weiß Gott, sie hat genug Gelegenheit gehabt, was zu lernen. Heute nacht hat sie sich auch gar nicht so schlecht gehalten, und sie hat sich nur einmal verkrampft. Wenn sie sich noch einmal verkrampft, soll die Leine sie abschneiden.
Als er das dachte, wußte er, daß er nicht ganz klar im Kopf war, und er dachte, ich muß noch etwas von der Makrele essen. – Aber ich kann nicht, sagte er zu sich. Es ist besser, man ist nicht klar im Kopf, als daß man seine Kraft durch Übelkeit verliert. Und ich weiß, ich kann es nicht bei mir behalten, wenn ich es esse, weil ich mit dem Gesicht drin war. Ich heb es für den Notfall auf, bis es verdirbt. Aber jetzt ist es zu spät, sich durch Essen bei Kräften halten zu wollen.
Du bist dumm, sagte er zu sich. Iß doch den zweiten fliegenden Fisch.
Er war da, ausgenommen und bereit, und er nahm ihn mit der linken Hand hoch und aß ihn und lutschte sorgfältig die Gräten ab und aß das Ganze bis auf den Schwanz.
Er hat mehr Nährwerte als irgendein anderer Fisch, dachte er. Jedenfalls die Art von Kraft, die ich brauche. Jetzt hab ich alles, was ich kann, getan, dachte er.
Jetzt soll er anfangen zu kreisen, und der Kampf soll losgehen.
Die Sonne erhob sich zum drittenmal, seit er auf See war, als der Fisch zu kreisen begann.
An der Neigung der Leine konnte er nicht sehen, daß der Fisch kreiste. Dafür war es zu früh. Er fühlte nur ein schwaches Nachlassen von dem Druck der Leine, und er begann, behutsam mit der rechten Hand an ihr zu ziehen. Sie straffte sich wie immer, aber gerade als er den Punkt erreicht hatte, wo sie zu zerreißen drohte, begann die Leine hereinzukommen. Er zog Kopf und Schultern unter der Leine hervor und fing an, behutsam und stetig Leine einzuholen. Er zog Hand über Hand und bemühte sich, soweit er konnte, mit Körper und Beinen zu ziehen.
Seine alten Beine und Schultern drehten sich mit, als er Hand über Hand zog.
»Es ist ein sehr großer Kreis«, sagte er. »Aber er kreist.« Dann kam keine Leine mehr herein, und er hielt sie, bis er in der Sonne die Tropfen von ihr springen sah.
Dann lief sie aus, und der alte Mann kniete sich hin und ließ sie widerwillig in das dunkle Wasser zurücklaufen.
»Jetzt ist er am äußersten Ende des Kreises«, sagte er. – Ich muß halten, was ich nur kann, dachte er. Die Anstrengung wird seinen Kreis jedesmal verkleinern.
Vielleicht werde ich ihn in einer Stunde sehen. Jetzt muß ich ihn kleinkriegen, und dann muß ich ihn töten.
Aber der Fisch kreiste langsam immer weiter, und zwei Stunden später war der alte Mann naß von Schweiß und bis in die Knochen müde. Aber die Kreise waren jetzt viel kleiner, und an der Art, wie die Leine sich neigte, konnte er sehen, daß der Fisch, während er schwamm, stetig gestiegen war.
Seit einer Stunde hatte der alte Mann schwarze Punkte vor den Augen gesehen, und der Schweiß lief ihm salzig in die Augen und brannte in den Verletzungen über seinem Auge und auf der Stirn. Er hatte keine Angst vor den schwarzen Punkten. Das war normal bei der Anspannung, mit der er an der Leine zog.
Zweimal jedoch hatte er sich schwach und schwindlig gefühlt, und das hatte ihn beunruhigt.
»Ich darf mich nicht selbst im Stich lassen und mit solch einem Fisch an der Leine sterben«, sagte er. »Jetzt, wo er so wunderbar rankommt, hilf mir, lieber Gott, daß ich durchhalte. Ich will hundert Vaterunser und hundert Ave Maria beten, aber jetzt kann ich nicht.«
Betrachte sie als gesagt, dachte er. Ich sage sie später.
Gerade in dem Augenblick spürte er ein plötzliches Schlagen und Rucken an der Leine, die er mit beiden Händen hielt. Es fühlte sich scharf und hart und schwer an.
Er schlägt mit seinem Schwert gegen die Drahtöse, dachte er. Das mußte kommen. Das mußte er tun. Vielleicht springt er aber daraufhin, und ich hätte lieber, daß er weiter kreist. Das Springen war notwendig für ihn, um Luft einzuziehen. Aber jetzt kann jeder Sprung die Öffnung der Hakenwunde erweitern, und er kann den Haken abwerfen.
»Spring nicht, Fisch«, sagte er. »Spring nicht.«
Der Fisch traf den Draht noch verschiedene Male, und jedesmal, wenn er mit dem Kopf stieß, gab der alte Mann ein bißchen Leine raus – Ich darf seine Schmerzen nicht größer werden lassen, dachte er. Meine sind ganz egal. Meine kann ich beherrschen. Aber seine Schmerzen können ihn zum Wahnsinn treiben.
Nach einer Weile hörte der Fisch auf, gegen den Draht zu schlagen, und fing wieder an, langsam zu
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