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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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Streit mit sich selbst«, »die Misere der Muslime in der Folge der Anschläge«. Ihr Leitgedanke, von einem ihrer Professoren übernommen, lautete, dass der Prozess der Entstehung einer Gedenkstätte Teil der Gedenkstätte war.
    »Aber diese Gedenkstätte ist nicht entstanden«, hatte Mo zurückgeschrieben. »Folglich ist der Prozess völlig irrelevant.«
    Sie gab nicht auf. Angehörige, Juroren, Journalisten, Aktivisten, alle hatten mit ihr gesprochen. Mo war das einzige noch fehlende Teil des Puzzles, und dazu das wichtigste. Schließlich hatte er nachgegeben, einfach nur um ihrer Belagerung ein Ende zu machen. Er hatte vor, sie mit ein paar allgemeinen Bemerkungen abzufertigen, etwa in dem Sinn, dass die Vergangenheit nun einmal Vergangenheit sei, und sie dann in die Stadt zu schicken, wo sie sich ein Bild davon machen konnte, dass der Gedenkstättengedanke sich inzwischen ausbreitete wie ein Krebsgeschwür. Je westlicher Indien wurde, desto besessener machte es sich daran, seine eigenen Toten namentlich zu nennen, so wie Amerika es tat. Die Plaketten waren einfach überall: am Bahnhof, wo jene aufgelistet wurden, die aus überfüllten Zügen gestürzt waren, am Flugplatz, zum Gedenken an alle, die Terroranschlägen, die es immer noch gab, zum Opfer gefallen waren, in den Slums, wo handgeschriebene Schilder an all die erinnerten, die an durch Schmutz verursachten Infektionskrankheiten gestorben oder durch Polizeigewalt zu Tode gekommen waren.
    Sich selbst gegenüber begründete er sein Nachgeben damit, dass er ihre Beharrlichkeit bewunderte, wiedererkannte, aber das war nicht die ganze Wahrheit. Seit fast zwei Jahrzehnten war er Weltbürger, Amerikaner nur noch dem Namen nach. K/K-Architekten hatte zwar ein Büro in New York, aber das wurde von Thomas Kroll geleitet. Mo konnte nur einen Teil der Zeit so tun, als sei diese Regelung genau das, was er wollte.
    Vor zwei Jahren hatte es im Museum of New Architecture in New York eine Retrospektive mit dem Titel Mohammad Khan, amerikanischer Architekt gegeben, ein Tribut an das breite Spektrum seiner Arbeiten in den letzten zwanzig Jahren, die meisten davon in Nahost, Indien und China. Es war ungewöhnlich, dass ein Architekt derart viele Projekte in so kurzer Zeit abwickelte, aber Mo wusste, dass das nicht nur an seinem Können, sondern auch an seinen Auftraggebern lag – betuchten Privatleuten, undemokratischen Regierungen, Gatsby-Nationen, die es eilig hatten, sich mit ihrem neuen Reichtum neue Identitäten zu kaufen. Aber die Ausstellung befasste sich auch mit dem Einfluss, den er auf andere ausübte. Sein Stil, oft und viel kopiert, verband eine bemerkenswerte Schlichtheit der Form mit geometrischen Mustern von betörender Komplexität. Dazu war er ebenso für die Bauwerke bekannt, die er seinen Auftraggebern ausgeredet hatte – kitschige, monströse Paläste und Moscheen –, wie für die, die er tatsächlich für sie gebaut hatte. Kritiker und Historiker schrieben es seinem Einfluss zu, dass sich im Mittleren Osten eine neue Ästhetik durchgesetzt hatte. »Selbst in einer Moschee sollte man sich fühlen wie in einem Garten«, hatte er einmal in einem Interview gesagt. »Es sollte nichts geben, was zwischen einem selbst und Gott steht.«
    Eigentlich hatte Mo zur Ausstellungseröffnung fliegen wollen, hatte im letzten Augenblick aber doch abgesagt. Er brauchte eine Weile, bis er dahinterkam, dass die Gedenkstätte schuld daran war. Die Zeichnungen für den Garten und das Modell sollten unter »Nicht verwirklichte Arbeiten« ausgestellt werden, zusammen mit einem halben Dutzend anderer Projekte, die entweder noch in der Entwicklung oder aus irgendeinem Grund wieder aufgegeben worden waren. Der erklärende Text dazu lautete: »Khans Entwurf stellte seinen ersten Versuch dar, modernen Minimalismus mit islamischen Elementen zu verbinden. Angesichts erbitterter Widerstände zog er seinen Entwurf schließlich zurück, erreichte durch die Kontroverse jedoch einen hohen internationalen Bekanntheitsgrad.« Es war eine typisch amerikanische Geschichte – dass man selbst dann gewinnen konnte, wenn man eigentlich verlor –, aber Mo hatte sich eine andere Darstellung erhofft.
    Das Land hatte sich weiterentwickelt, eigene Verhaltensweisen korrigiert, wie es das immer tat, und die aufgeheizte Zeit von damals war inzwischen größtenteils vergessen. Nur Mo steckte immer noch in der Vergangenheit fest. Er wollte Anerkennung des Unrechts, das ihm angetan worden war,

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