Der amerikanische Architekt
mit Wasser benetzt hatte, kniete er sich neben ihn.
Das letzte Mal hatte er vor vielleicht einem Jahr gebetet, als er, auf Besuch bei seinen Eltern in Virginia, mit seinem Vater in die Moschee gegangen war. Es war das erste Mal, dass er als Erwachsener betete, und da die Bewegungen des Salat ihm fremd geworden waren, beobachtete er seinen Vater. Es war eine Lektion von eigenartiger Intimität. Salman war über sechzig, und sein Alter verriet sich im Knacken der Knie, in der Art, wie sein Oberkörper bei der Verneigung in einer Art Fragezeichen verharrte, im leisen Ächzen, bevor er den Boden mit der Stirn berührte, in der leichten Steifheit, als er sich wieder aufrichtete.
Mo machte ihm alles nach, aber innerlich wand er sich vor Verlegenheit. Junge berufstätige Männer, wie er selbst einer war, mit an den Gürteln befestigten BlackBerrys zu sehen, die Hinterteile hoch in der Luft, ihre nur mit Socken bekleideten Sohlen allen Augen sichtbar – irgendwie war es ihm würdelos vorgekommen. Der Mensch war nicht dazu gedacht, andere beim Gebet zu beobachten.
Aber der Afghane hier, tief in seine Verneigungen versunken, ließ sich nicht einmal anmerken, dass er Mo wahrnahm, obwohl sie beide gemeinsam eine Reihe bildeten, eine Mauer, eine Moschee, ihm war Mos Urteil völlig egal. Er hatte sich selbst vergessen, und das war die reinste Form der Unterwerfung.
M o legte die Hände an die Fensterscheibe. Das Arabische Meer erstreckte sich weich fließend wie ein aufgeschlagener Ballen Wildseide bis an den Horizont. Hinter ihm lag Mumbai, das frühere Bombay. Seine verschwommenen Ränder schienen sich jedes Mal, wenn er hinsah, noch weiter in die Ferne zerfranst zu haben. Die Mega-City breitete sich unaufhaltsam immer weiter aus. Jeden Tag gab es Neuankömmlinge in den Geburtskliniken und an den Busbahnhöfen, die Zahl der Sterbenden und Abreisenden kam nicht dagegen an. Mumbai wuchs, in die Breite und in die Höhe. Vierzig Stockwerke über dem Meer konnte Mo dabei zusehen.
Der Blick aufs Wasser war für ihn wie eine Meditation, half ihm, sich zu sammeln. Die ganze letzte Stunde hatte er sich mit einem kuwaitischen Prinzen herumgestritten, für den er einen bescheidenen Palast entworfen hatte, mit klaren Linien, energieeffizient. Der Auftrag war völlig problemlos gelaufen, bis zu diesem Morgen, als der Prinz verkündete, er wolle einen Rasen, einen riesigen Rasen im amerikanischen Stil, mit eingelassenen Sprinklern und Rasenmähern, die immer bereitstanden. Einen Rasen, auf dem man Ball spielen, reiten, Picknicks veranstalten, Teegesellschaften abhalten und Fußballkämpfe austragen konnte. Was kümmerte es den Prinzen, dass man sogar in England und in Amerika zunehmend auf große Rasenflächen verzichtete. Mit dem Geld, das ihm das Öl einbrachte, konnte er sich soviel Wasser kaufen, wie er wollte. Er wollte einen Rasen.
Aber er würde keinen bekommen, nicht solange Mo der Architekt war. »Die Außenflächen sind kein Beiwerk, sie sind Teil des Ganzen. Und deshalb nehmen Sie entweder alles oder gar nichts«, hatte Mo ihn angefahren, viel zu gereizt, selbst für seine Verhältnisse. Es war ein Fehler gewesen, an diesem Morgen überhaupt zu arbeiten, er hätte sich Zeit nehmen sollen, seinen Erinnerungen einen Riegel vorzuschieben, seine Gefühle zu zügeln. Er war nervös. Ein Mann, der auf die sechzig zuging und sich am liebsten davor gedrückt hätte, zwei junge Amerikaner zu treffen, die nicht einmal halb so alt waren wie er.
Sie waren da, teilte der Portier ihm mit, er würde sie nach oben schicken. Mo sah sich noch einmal in seinem makellosen Wohnzimmer um und öffnete die Tür. Davor stand eine junge Frau, durchaus hübsch, mit braunen Augen, in deren Winkeln sich die ersten Fältchen bemerkbar machten, ein paar Sommersprossen, einem einnehmenden Lächeln. Sie trug ein altmodisches Wickelkleid, aber so ungeschickt, wie sie es gebunden hatte, vermutete er, dass sie normalerweise Hosen bevorzugte. Hinter ihr stand ein Kameramann mit zerzausten Haaren und einem zögernden Lächeln. Mo forderte die beiden höflich auf, ihre Schuhe auszuziehen.
Molly hatte ihn monatelang bearbeitet, hatte ihm den Dokumentarfilm umrissen, den sie aus Anlass des zwanzigsten Jahrestags des Wettbewerbs für die Gedenkstätte drehen wollte. Sie bezeichnete das Ganze als einen »zukunftsweisenden Augenblick« in der amerikanischen Kulturgeschichte. Sie wollte die »politischen Taktiken rund um die Gedenkstätte« aufzeigen, »Amerika im
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