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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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Gartens »die Baumgrenze« genannt. Die Dunkelheit umfing mich wie ein schützender Mantel gegen ungewollte Blicke. Dennoch dauerte es eine ganze Weile, bevor ich mich hinter dem Stamm der alten Esche hervorwagte und den Weg in Richtung Gartenhaus einschlug.
    Unser Haus baute sich als mächtiger grauer Schatten über mir auf. Wenn in diesem Moment jemand auf der Terrasse stand und den Garten beobachtete, so wäre die Wahrscheinlichkeit größer, dass er mich entdeckte als ich ihn.
    Ich rüttelte an der Tür des Gartenhäuschens. Nichts tat sich. Also zerrte ich fester daran. Mit einem Mal schwang sie mir entgegen, sodass ich beinahe nach hinten katapultiert worden wäre. Wie erwartet fand ich hier alles, was ich brauchen würde, und machte mich wieder auf zum »im mergrünen Wall«.
    Zunächst hatte ich Schwierigkeiten, mich zu orientieren und die richtige Stelle ausfindig zu machen. Natürlich hätte ich jetzt einfach unverrichteter Dinge gehen können. Und nicht zum ersten Mal in den vergangenen Stunden fragte ich mich, warum ich das tun wollte und was es mir letztlich bringen würde außer der allerletzten Bestätigung einer grausigen Wahrheit.
    Im Rückblick schiebe ich es auf den mehr als zwei Jahre währenden Mangel an Klarheit. Und so war der Drang nach absoluter Gewissheit in jener Nacht übermächtig. Nichts und niemand hätte mich davon abhalten können, nun auch
das Letzte
, wenn nicht ans Tageslicht zu bringen, so doch mit dem Schein von Hürlis Lampe zu beleuchten.
    Nach einigem Zaudern, wo genau der Spaten anzusetzen wäre, war ich mir plötzlich ganz sicher. Ja, hier war es gewesen, in dem kleinen Zwischenraum, den die grünen Mauern aus Eiben freigelassen hatten. Hier hatte ich sie gesehen. Damals hatte
sie
sich mit dem Spaten zu schaffen gemacht.
    Bei meinen ersten Spatenstichen zuckte ich zusammen, so hart und krachend zerschnitten sie die Nacht. Es war eine mühsame und beschwerliche Arbeit und sie dauerte länger, viel länger, als ich angenommen hatte. Schweiß und Regen mischten sich auf meinem Gesicht. Immer wieder musste ich innehalten, um notdürftig über Augen und Stirn zu wischen. Die Arme wurden mir schwer, die Hände fühlten sich an wie Klauen, die von einer fremden Macht geführt wurden.
    Es war am frühen Morgen, als sich mein fürchterlicher Verdacht bestätigte. Ich hatte gegraben und gegraben. Mir war wiederholt übel geworden. Auch jetzt konnte ich den Brechreiz nicht unterdrücken. Aber ich musste die
ganze
Leiche freikratzen. Einzelne Teile genügten nicht. Die Erde musste so weit entfernt werden, dass man sein Gesicht erkennen würde.
    Hier lag er. Im grauen Dämmerlicht. Toni Giaconuzzis schlaffer Körper.
     
    Dieser Mann hatte einen Großteil der schrecklichen Ereignisse in der Brandnacht mitangesehen. Er hatte sich sein Schweigen mit Geld und einem Ticket nach Rio bezahlenlassen. Und dann musste er zurückgekehrt sein und erneut Geld gefordert haben. Geld für sein Schweigen.
    Das musste Anouk zu viel geworden sein. Sie hatte ihn getötet und hier im Garten verscharrt – just an jenem Nachmittag, als ich früher nach Hause gekommen war und sie mit dem Spaten in der Hand überrascht hatte.
    Erneut musste ich würgen, doch da ich seit dem Mittagessen in Leipzig nichts zu mir genommen hatte, war alles, was ich ausspie, gelbgrüne Galle.
    Ich sah mich um. Das Tageslicht zeichnete alle Konturen schon schärfer ab. Also war Eile geboten. Die Grube musste wieder zugeschüttet werden. Danach würde ich den Schutz der Dämmerung außerdem noch benötigen, um ungesehen zum Wagen zurückkehren zu können. Ich wusste, dass dieser Weg auf den Bregenzer Hausberg häufig und gerne begangen wurde, mit besonderer Vorliebe sogar in den frühen Morgenstunden.
    Alte Zweige und Buchenlaub verdeckten jetzt wieder das schaurige Grab. Alles sah mehr oder weniger so aus wie zuvor. Ich brachte die Geräte in das Gartenhaus zurück, nicht ohne vorher sowohl den Spaten als auch die Schaufel so gut es ging gesäubert zu haben. Es musste inzwischen halb sechs oder gar schon sechs sein, viel zu spät eigentlich, wenn ich an die emsigen Bergläufer dachte.
    Hastig schlich ich zurück, zuerst durchs Unterholz. Dann überkletterte ich den Zaun und schlängelte mich am Wegrand entlang bis zum Volvo. Ich ließ mich hinters Steuer fallen und schnappte nach Luft.
    Zu meiner Erschöpfung gesellte sich ein pochender Schmerz. Ich spürte, wie mir Tränen übers Gesicht liefen, wie ich nicht mehr aufhören konnte

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