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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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ein Geruch nach trockenem Putz und Rosen, eine eigenartige Mischung. Dreimal mussten wir hoch- und wieder runtergehen, bis endlich alle unsere Koffer und Taschen oben vor der Wohnungstür standen.
    Beim Betreten des Apartments empfingen uns weder abgestandene Luft noch Staub. Anouk erklärte, dass »Katy«, Katinka, hier gestern sauber gemacht hatte. Im Gegensatz zum Treppenhaus entsprach das Innere der Wohnung einem typisch östlichen Nach-Wende-Luxus.
    In der Diele wurden unsere Schritte von einem dickflorigen weißen Teppich gedämpft, auf dem weder Schmutz noch die Zeit Spuren hinterlassen hatten. Ich lächelte in mich hinein. Nun war ich knapp zwei Jahre nicht in Deutschland gewesen. Dennoch hatte meine deutsche Vergangenheit mich so weit im Griff, dass ich beim Anblick dieses Teppichs unwillkürlich dachte, man würde inDeutschland niemals wagen, eine Diele mit einem solchen Flor zu belegen.
    Ich zog die Schuhe aus. Auf Zehenspitzen trat ich weiter hinein in die Wohnung und hielt den Atem an. Zum ersten Mal kam mir die Frage, womit wir das wohl alles finanziert hatten. Und ob die Geldquelle, aus der wir schöpften, womöglich einmal versiegen würde.
     
    Das Apartment empfing mich wie eine vertraute Hülle. Ich betrat die ultramoderne Edelstahlküche, das Wohnzimmer, das Schlafzimmer, das Bad und fühlte mich mitgerissen wie in einem Strudel des Wiedererkennens. All meine Befürchtungen, meine Ängste, ich würde mich an nichts erinnern können, verloren sich im Nichts.
    An der letzten Tür jedoch zögerte ich. Warum hatte ich auf einmal das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun? Langsam drückte ich die Klinke herunter. Die Tür war verschlossen.
    Ich ging zurück zu Anouk, die in der Küche stand und gerade eine Notiz las, die Katy hinterlassen hatte.
    »Der Raum gleich neben dem Eingang ist abgeschlossen.« Ich sah Anouk fragend an.
    Sie erwiderte meinen Blick flüchtig, zuckte mit den Achseln und sagte: »Katy. Sie schließt das Zimmer immer ab, bevor sie geht.«
    »Wieso denn das? Was ist das für ein Raum?«
    »Dein Arbeitszimmer.«
    Ich verstand nicht. »Warum schließt sie es ab?«
    »Großstadtneurotik, nehme ich an. Sie misstraut ihren Landsleuten.« Anouks Lachen klang leicht gekünstelt.
    »Aha.«
    »Auch wenn es natürlich Unsinn ist. Diese Tür kriegt jeder auf, der hinein will.«
    Anouk kramte aus der Besteckschublade einen Schlüssel heraus. Den drückte sie mir in die Hand.
    Ich schloss die Zimmertür auf und warf einen kurzen Blick hinein. Mir war, als hätte ich den Raum nie zuvor betreten. Später wollte ich mir das Zimmer genauer ansehen. Im Moment war ich müde von der Reise und sehnte mich nach einer Dusche.
     
    Es war eine von diesen hypermodernen Massageduschen, bei denen zusätzlich zum Brausekopf Düsen in die Wand eingelassen sind. Ich wusste instinktiv, wie ich damit umzugehen hatte: Mit einem routinierten Handgriff stellte ich die Brause so ein, wie es mir angenehm war.
    Während Anouk ein Bad nahm, legte ich die CD ein, die ganz vorne im Regal stand. Ich erkannte die melancholischen Klänge von Satie, tauchte ein in das ›Lent et douloureux‹, in langsam und zögernd erklingende Tastenanschläge, die den Zuhörer in einen runden, immer wiederkehrenden Bann zogen. So, als wäre der Pianist in einer großen Traurigkeit gefangen, die ihn davon abhielt, die Töne fließen zu lassen.
    Ich drehte die Musik so laut, dass ich sie in jedem Raum hören konnte, und streifte dann durch die Wohnung wie ein Abenteurer auf Entdeckungsfahrt. Vor jeder Schranktür machte ich halt und wagte Prophezeiungen, was dahinter sein mochte. Jeder Versuch war ein Treffer.
    Langsam geriet ich in einen Sog. Ich öffnete Tür um Tür, in immer schnellerem Tempo, spürte Euphorie in mir aufsteigen, Tränen über meine Wangen laufen. Schließlich hörte ich ein seltsames Wimmern, ein heiseres Weinen, erstickte Schluchzer. Erst nach einer Weile erkannte ich, dass sie aus meinem eigenen Mund kamen.
    Ich kauerte auf dem weißen Teppich, wie ein Muslimzum Gebet, und hämmerte mit den Fäusten auf den Boden, in immer wuchtigeren Schlägen.
    Bis Anouk mich fand, meine Handgelenke umklammerte und ihre Worte endlich, endlich zu mir durchdrangen.
    »Es ist gut. Alles ist gut.«
     
    Julie hatte uns gewarnt, dass so etwas passieren könnte. Dass die unmittelbare und plötzliche Konfrontation mit meinem früheren Leben eventuell eine heftige und schmerzhafte Reaktion auslösen würde.
    Der Wiedererkennungsschock würde von

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