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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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Trotziges oder Beleidigtes darin. Jedes Mal,bevor sie ging, klopfte sie sacht, streckte den Kopf durch die Tür und warf mir einen Kuss zu. Ich gab ihn zurück und sie zog lächelnd die Tür hinter sich zu. Dennoch konnte ich den traurigen Schatten, der sich hin und wieder über ihren Blick legte, nicht übersehen.
    Wenn sie sich unbeobachtet fühlte, wirkte sie resigniert. Sie schien ein trauriges Ereignis zu erwarten, das unabwendbar schien. Die meiste Zeit jedoch war sie aufmerksam und besorgt um mich, wie immer in den vergangenen zwei Jahren.
    Ich weiß nicht, ob sie ahnte, was ich tat. Ich weiß nicht, ob sie wusste, dass ich verzweifelt versuchte, die Puzzleteile eines verlorenen Lebens zusammenzutragen. Wenn ja, so ließ sie sich nichts anmerken und ging jeden Morgen, nachdem sie ausgiebig Zeitung gelesen und Kaffee getrunken hatte, aus dem Haus. Im Grunde wusste ich genauso wenig, was
sie
tat.
     
    »Maaxx! Bist
du
das wirklich?«
    Ich drehte mich um und noch bevor ich den Mann mit dem kehligen Ausruf erblickte, wusste ich, dass ich ihn nicht erkennen würde.
    Ich musste etwas ratlos dreingeschaut haben, denn er rief: »Ich bin’s, Jaro, erkennst du mich nicht?«
    Der Mann, der sich Jaro nannte, hatte meine Hand ergriffen und schüttelte sie, während er mir mit der anderen auf die Schulter klopfte. Er war groß, breit, vom Typ her ein richtiger Seebär. Sein massiger Körper steckte in einem teuren Anzug, der jedoch den Eindruck vermittelte, als würde er jeden Moment explodieren. Jaro hatte große, behaarte Hände, ein markantes, gut geschnittenes Gesicht, sein Haar war von einem lebendigen Braun, leicht rötlich, und seine Augen sehr blau. Er strahlte Wärme und Liebenswürdigkeitaus und bemühte sich vergeblich, nicht auf meine Narbe zu starren. Sollte ich ihm sagen, dass ich ihn nicht kannte?
    Ich fühlte ein dümmliches, verrutschtes Lächeln auf meinem Gesicht. Wusste nicht so recht, wohin mit meinem Blick, mit meinen Händen. Jaro aber legte einfach den Arm um mich und schob mich in das nächstbeste Lokal, einen gewölbekellerartigen Starbucks
.
Ich dachte flüchtig darüber nach, woher ich auf einmal zu wissen glaubte, dass man den besten Kaffee in Prag im Coffeeheaven am Wenzelsplatz bekam.
    »Wie lange ist das jetzt her? Vier Jahre, fünf Jahre?« Jaro bestellte zwei Kännchen Kaffee und deutete mit dem Finger auf die Auslage mit Blaubeermuffins.
    »Ja, gern«, krächzte ich, räusperte mich und straffte die Schultern.
    Jaro reichte mir eine Riesentasse und den Muffin. Wir schlängelten uns zwischen den Tischen hindurch zu einem Platz am Fenster, der gerade frei wurde. Als wir einander schließlich gegenübersaßen, sah ich in sein bärengütiges Gesicht und sagte: »Es ist schon eine Weile her, dass wir uns … ähm … gesehen haben …«
    »Das kannst du laut sagen. Ihr seid ja irgendwann nach Deutschland abgetaucht und habt euch nicht mehr gemeldet.«
    Er bemerkte wohl meinen alarmierten Blick und fuhr rasch fort: »So ist das doch im Leben. Die Jahre vergehen. Und dann war da schließlich noch …«
    »Ich hatte einen … Unfall.«
    »Aber jetzt bist du wieder fit? Wie geht’s Anouk?«
    Er sprach ihren Namen so seltsam kehlig aus, dass ich lachen musste.
    »Gut. Es geht ihr gut.«
    »Dann seid ihr also noch zusammen?«
    Ich musste verblüfft ausgesehen haben, denn er lachte etwas gekünstelt auf und fuhr fort: »Das ist wunderbar … in dieser schnelllebigen Zeit. Aber man kann nicht vorsichtig genug sein. Du erinnerst dich doch noch an Miroslav? Miroslav Zednik, den Makler? Er hat inzwischen die dritte Frau. Das wäre nichts für mich, rein in die Federn, raus. Ich habe fünfzehn Jahre gebraucht, mich an Zuzana zu gewöhnen.«
    Er lachte gutmütig. Zuzana musste seine Frau sein.
    Eine Weile lang sagte keiner von uns ein Wort. Dann brach ich das Schweigen: »Was ich vorhin sagen wollte: Ich hatte einen Unfall … ein Brand in meiner Firma, bei dem ein Mann ums Leben kam.«
    Sein Blick streifte meine Narbe, er nickte: »Ja, du hast dich verändert. Nicht nur äußerlich. Du bist viel ernster. Ein anderer Ausdruck in deinen Augen, würde Zuzana sagen.«
    »Tja … was soll man machen? Aber sie haben mich ganz gut wieder zusammengebastelt. Allerdings leide ich unter einer partiellen Amnesie. Es gibt Dinge und Menschen, an die ich mich nicht erinnere. Und an dich …«
    Jaro sah ernst aus, als er nickte und den Satz für mich beendete: »…   an mich erinnerst du dich auch

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