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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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Händen.
    Der Raum war vollpfropft mit Käfigen und Aquarien. Es zwitscherte und piepste aus jedem Winkel. Eine junge Frau mit ausladenden Hüften in schlecht sitzender Hose war dabei, die Fische zu füttern und sprach in melodischem Singsang mit ihnen.
    Ich ging durch die Reihen, sah weiße Mäuse und Goldhamster, dunkelbraune Meerschweinchen und zitronengelbe Wellensittiche. Keck und unberechenbar blickten mich ein paar exotische Papageien an. Eine Weile lang drückte ich mich vor einem grün-roten Vogel herum, bevor ich den Mut fasste, auf den dünnen Mann zuzugehen und ihn zu fragen: »Können Sie sich an mich erinnern?«
    Er sah mich an, als sei ich eine von jenen bedauernswerten, aber doch irgendwie allgegenwärtigen Gestalten, die tief gebeugt auf dem Pflaster knien, die Hände um den Spendenbecher geschlungen und den Kopf auf dem eiskalten Pflaster. Mit einer Mischung aus Verachtung und Mitleid sagte er nur: »Ne.« Dann drehte er sich um und ließ mich stehen.
     
    Weihnachten kam und ging, wir standen auf der Karlsbrücke und betrachteten die träge fließende Moldau. Wirhörten Barockmusik im Spiegelsaal des Klementinums, flanierten Arm in Arm durch die Gassen der Josefstadt. Wir tranken Punsch (alkoholfreien, da ich immer noch regelmäßig Medikamente nehmen musste) und machten es uns ansonsten in unserem Wohnzimmer gemütlich. Es war eine vorübergehende Rückkehr in die Vertrautheit.
    An Silvester gingen wir früh zu Bett. Wir waren müde und hatten beide keine Lust auf das Spektakel am Wenzelsplatz und den Trubel am Altstädter Ring. Um Mitternacht wachten wir auf, vom Feuerwerk, doch gingen wir bald darauf wieder zu Bett.
    Im Januar hängte ich in meinem Arbeitszimmer die Heyerdahl-Fotos ab und das Sandkastenbild auf. Anouk kaufte neue Malsachen für mich. Ich installierte die Staffelei, doch all die Skizzenbücher und Leinwände blieben unberührt.
    Stattdessen begann ich, das Arbeitszimmer systematisch zu erforschen. Die Tür hatte ich zuvor verriegelt. Dann nahm ich jeden einzelnen Gegenstand in die Hand, in der Hoffnung, dass er etwas zu mir »sagen« würde.
    Irgendwann zog ich einen Aktenordner heraus und fing an, ihn Seite für Seite durchzublättern Ich las mich durch Kaufverträge der Prager Wohnung, erschrak über den Preis, den wir vor sieben Jahren gezahlt hatten, hielt Rechnungen von Malern und Installateuren, Bodenlegern und Innenausstattern in der Hand. Mein armes Gehirn hatte Mühe zu akzeptieren, dass ich jemals so viel Geld für die Renovierung eines Apartments in der Prager Altstadt ausgegeben hatte. Unfassbar, dass ich jemals so viel Geld »ge macht « hatte und wohl noch immer »machte«.
    Im Rahmen meiner heimlichen Nachforschungen ging ich noch einen Schritt weiter. Während sich Anouk beim Friseur oder bei einer Massage verwöhnen ließ, über den Wenzelsplatz bummelte oder im Prague Gym Gewichtestemmte, suchte ich – unter einem Vorwand – jeden einzelnen dieser Handwerker auf. Ich strickte Geschichten, um den Arbeitern von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, fabulierte etwas von anderen Wohnungen, die es herzurichten galt, und dass ich unbedingt dieselben Leute wieder beauftragen wollte. Doch egal, ob es sich um den kleinen dicken Maler Krystof handelte, um den dünnen, kettenrauchenden Installateur Jiri, um die quirlige Hanka, die unser Apartment eingerichtet hatte: Ich erkannte niemanden wieder. Keiner von ihnen löste auch nur einen Funken des Wiedererkennens in mir aus.
    Und so trat ich auf der Stelle.
    Irgendwann landete ich gedanklich wieder beim Pink Rabbit, meiner einzigen wackeligen Brücke, die mich ein Stück weit in das Prag meiner Vergangenheit hineintrug. Getrieben von dem Gedanken, irgendetwas finden zu
müssen
, wühlte ich mich erneut durch sämtliche Ordner in meinem Regal. Bei jedem Umblättern hoffte ich, auf eine Rechnung vom »Rabbit« zu stoßen, die mir ein handfestes Alibi verschaffen würde, zu dem dünnen Mann zurückzukehren. Ich musste wohl seinem Gedächtnis ebenso wie meinem auf die Sprünge helfen.
    Es sollte bei dem Wunsch bleiben. Stattdessen wusste ich nach ein paar Wochen genauestens Bescheid über die Prager Wasser- und Abwasserpreise, über Müllgebühren und Stromgelder.
     
    Es waren Wochen der leisen Entfernung von Anouk. Sie spürte meinen Rückzug und ich ahnte, dass es sie verletzte. Ein paar Tage nachdem ich mich in meinem Arbeitszimmer wie in einer Festung verschanzt hatte, begann Anouk, allein auszugehen.
    Es lag nichts

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