Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
Vom Netzwerk:
ob es diesen oft pathetisch postulierten Kampf um einen Menschen überhaupt gab. War der Kampf nicht längst verloren in dem Moment, in dem ein solcher nötig wurde? Man konnte doch keine Gefühle herbeikämpfen!
    Doch egal, ob Kampf oder »nur« Konkurrenz: Um
dem anderen
angemessen zu begegnen, musste ich erst einmal wissen, wer er war. Als ich schließlich in unsere Einfahrt bog, hatte ich einen Entschluss gefasst.
     
    Ich war so sehr in Gedanken versunken, dass ich erst im zweiten Moment stutzte. An unserem Haus hatte sich etwas verändert.
    Zuerst war es nur ein Gefühl, eine Ahnung. Irgendetwas war anders als sonst. Schon rein optisch. Alles wirkte feindlich. Und dann wusste ich, was diesen Eindruck verursachte: Es waren die Fenster, die mich irritierten. Frau Meerbaum und auch Anouk ließen sie bei diesen hohen Temperaturen normalerweise weit offen stehen. Jetzt jedoch sah ich in die geschlossenen Fenster, die mir wie blicklose Augen entgegenstarrten.
    Ich nahm meine Tasche vom Beifahrersitz und schlug die Wagentür zu. Gerade als ich mich zum Haus hin umdrehte, wurde die Tür aufgerissen und Anouk tauchte im Türrahmen auf. Es war klar, dass es Anouk war, die dort stand, aber ihr Aussehen unterschied sich grundlegend von dem Bild, das sie üblicherweise abgab. Das Haar war nachlässig im Nacken geflochten. Viele Strähnen hatten sich wieder gelöst und hingen wirr herum, ihre Augen waren rot und verquollen, das Gesicht schweißbedeckt.
    Anouks Mund war verzerrt. Sie fixierte mich starr und blickte gleichzeitig durch mich hindurch. Sie musste mich für eine Erscheinung halten. Aus ihrer Kehle drang ein seltsamerLaut wie das Wimmern eines kleinen Tieres, eines verendenden Tieres.
    Ich erschrak. So hatte ich sie noch nie erlebt.
    Lange standen wir beide regungslos da. Bis sie sich aus ihrer schrecklichen Erstarrung löste, auf mich zurannte, die Arme um mich schlang und nicht aufhören konnte zu schluchzen.
     
    Nur langsam beruhigte sie sich. Trotz der Hitze und des Schweißes fühlte sich ihre Haut kalt an. Ich packte sie aufs Sofa, deckte sie mit einem dünnen Plaid zu und redete sanft auf sie ein.
    Wie sollte ich diesen Zustand meiner Frau bloß einordnen? Immer war sie die Starke gewesen, die Ruhige, die Souveräne. Sie hatte unsere Belange in den USA gemanagt und mein Leben gleich mit. Nicht ein einziges Mal hatte ich daran gedacht, dass ihre Belastbarkeit Grenzen haben könnte.
    Ich suchte nach Cognac, fand aber weder im Wohnzimmer noch in der Küche Alkohol, und so kochte ich ihr einen Kräutertee, auf dessen Packung »zur Beruhigung der Nerven« stand.
    Während ich neben ihr saß, ihren Kopf stützte und zusah, wie sie in kleinen Schlucken trank, wich mein erster Schrecken. Dafür machte ich mir nun ernsthafte Sorgen. Was hatte sie so schonungslos aus der Bahn geworfen? Ich dachte an ihre Eltern – ein Unfall, eine Krankheit?
    Möglichst ruhig bat ich Anouk: »Erzähl mir doch, was passiert ist.«
    Ihr Kopf fuhr mit einem Ruck herum. Sie sah mich an, als traute sie ihren Ohren nicht, als könnte sie nicht fassen, worum ich sie eben gebeten hatte. Dann antwortete sie und die Schlichtheit ihrer Worte erschütterte mich:
    »Ich dachte, du seist tot!«
    In diesem Moment läutete das Telefon.
    Wir sahen uns an, doch keiner von uns machte Anstalten, aufzustehen und abzuheben. Anouk, weil es ihr gleichgültig schien; ich, weil ich verzweifelt versuchte, die Bedeutung ihrer Worte zu verstehen.
    Da fiel mir ein, dass ich mich in der Firma nicht abgemeldet hatte. Offenbar hatten alle bereits versucht, mich zu erreichen. Mein Handy hatte ich nicht dabei gehabt. Mir kam der 1 6-Uhr -Termin mit dem Unterlieferanten in den Sinn … Ja, so musste diese Verwirrung entstanden sein: Ich war nach der Mittagspause einfach nicht wieder in mein Büro zurückgekehrt. Über Stunden hinweg hatte niemand gewusst, wo ich steckte. Wahrscheinlich hatte die Meyerin dann Anouk angerufen und gefragt, ob sie eine Ahnung habe. Und Anouk hatte angenommen, dass, ja was? Dass ich verunglückt war? Dass ich das Opfer eines Verbrechens geworden war? Entführt?
    Wieder begann das Telefon zu läuten, doch diesmal so lange, bis sich der Anrufbeantworter einschaltete. Anouks Ansage erklang, dann ein Piepton, kurz darauf hörten wir: »Servus, hier ist Barbara. Ich frage mich, wo ihr seid! Alle sind schon da, nur die Ehrengäste nicht. Also: Wenn ihr dann bitte mal die Güte hättet und euch zumindest melden würdet!«
     
    Wir hatten

Weitere Kostenlose Bücher