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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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so vor mir sitzen sah, erschien es mir unmöglich, ihm nicht zu glauben. Aber es konnte doch nicht sein, dass die Polizei ihn dermaßen falsch eingeschätzt hatte.
    Mir fehlten die Worte. »Also, Herr Hürli    … Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Sie scheinen sich vollkommen sicher zu sein.«
    »Ich
bin
vollkommen sicher.«
    »Aber die Polizei – wieso haben die Ihnen nicht geglaubt?«
    »An dem Tag, an dem ich meine Aussage gemacht habe, war ich    … na ja, wie soll ich sagen    … extrem schlecht drauf. Auf Entzug, wenn Sie sich vorstellen können, was das bedeutet. Aber ich
weiß
doch, dass ich ihn gesehen habe! Er war auf dem Weg nach Zürich. Von dort aus ging sein Flug. Noch am selben Tag.«
    Hürli musste damals tatsächlich ein vollkommen anderes Erscheinungsbild abgegeben haben. Es hatte vermutlich in krassem Gegensatz zu dem Eindruck gestanden, den er heute und hier vermittelte.
    Jetzt kam er noch mal auf seine Schlüsselsituation mit Giaconuzzi zurück: »Ich habe das Geld ja mit eigenen Augen gesehen. Und genauso das Ticket. Daran gibt es keinerlei Zweifel. Natürlich war er wieder unter Dampf, wie meistens, aber das tut nichts zur Sache.«
    Hürli sah nachdenklich vor sich hin. Ohne den Blick von der Tischplatte zu nehmen, fuhr er fort: »Ich habe ihn dann noch zum Zug begleitet. Beim Abschied war mir fast ein wenig rührselig zumute, ich konnt’s gar nicht fassen. Und er in seinem Dusel wohl auch nicht. Jedenfalls war er schoneingestiegen, als er plötzlich etwas faselte davon, dass da
noch einer von der Sorte
gewesen sei.«
    Ich horchte auf: »Wie hat er das denn gemeint?«
    »Das habe ich ihn auch gefragt. Aber er hat nur seine wichtigtuerische Miene aufgesetzt, sodass ich mir dachte: Doch gut, dass der Depp abhaut.«
    »Und das Geld? Haben Sie ihn denn gar nicht gefragt, wo er das ganze Geld – und das Ticket – her hatte?«
    »Klar hab ich ihn das gefragt.«
    »Und?«
    »Nichts Brauchbares. Er sei – so sagte er – zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen.«
    Ich dachte über diese Worte nach. Was konnte Giaconuzzi damit gemeint haben? Mir fiel gleich noch etwas anderes ein: »Aber die Polizei hätte das mit dem Ticket doch herausfinden können. Sein Name musste doch auf irgendwelchen Passagierlisten verzeichnet gewesen sein.«
    Hürlis Antwort begann mit einem empörten Prusten. »Von denen hat sich keiner die Mühe gemacht. Keiner wollte das, was ein abgehalfterter Typ wie ich gesagt hatte, nachprüfen.«
    Eine Weile lang schwiegen wir beide und hingen dem Gesagten nach.
    Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass Hürli mich mitleidig betrachtete.
    »Was ist?«, fragte ich.
    Er sah weg und blinzelte. Dann stand er langsam auf, nahm die Teekanne und trug sie zum Spülbecken.
    »Nichts«, sagte er und begann, mit Hingabe die Kanne auszuspülen. Das alles kam mir wie ein Ablenkungsmanöver vor. Offensichtlich versuchte Hürli, mir etwas zu verschweigen.
    »Doch«, sagte ich, »da ist noch was. Ich spüre das. Bitte sagen Sie mir alles, was Sie wissen.«
    Er trocknete die Hände an einem Geschirrtuch ab. Dann drehte er sich langsam zu mir um. Seine Miene verriet nichts. Eine Weile lang maßen wir uns stumm. Irgendwann sagte er: »Ich bin mir nicht so sicher, ob man viel auf Giaconuzzis Gefasel geben sollte. Ich meine, als er da in den Zug stieg, stand er ja wirklich unter Strom.«
    »Aber … Sie selbst …«
    »Sie meinen, ich selbst war damals auch nicht besser drauf? Das mag stimmen.« Er schien zu überlegen und starrte wieder abwesend vor sich hin. Plötzlich schoss es aus ihm heraus: »Ich sagte Ihnen vorhin, lassen Sie’s ruhen, seien Sie dankbar … Ich will hier nicht die Giftpfeile eines Versoffenen abschießen, das verstehen Sie doch. Wenn nun gar nichts dran war …«
    »Mann, jetzt reden Sie doch endlich! Ich
muss
es wissen. Alles!«
    »Also gut.« Er zuckte mit den Schultern. Die Bewegung hatte fast schon etwas Trotziges an sich. »Kurz vor der Abfahrt, er stand schon im Zug, brüllte er mir etwas zu von ›Scheißweibern

und dass die Winther die Schlimmste sei. Er rief mir zu, dass sie es ›die ganze Zeit mit dem anderen getrieben‹ habe. Dann nuschelte er noch irgendeinen Namen. Und dann gingen die Türen zu.«

Party
    An die Rückfahrt erinnere ich mich kaum. Ich weiß nur noch, dass ich nach Hürlis Satz mit den »Scheißweibern« völlig betäubt aufgestanden war. Beim Hinausgehen nahm ich seine Stimme beinahe nicht mehr wahr.
    Er rief wie von weit

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