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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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beiseite. »Sie hat sich um mich gekümmert. Die ganze Zeit. Ohne sie hätte ich es nicht geschafft!«
    Hürli schien zu überlegen. Endlos lang. Böse Witze über das Reaktionstempo der Leute aus Bern fielen mir ein. Ich wollte mich schon nach seiner Herkunft erkundigen, als ich glaubte, nicht recht gehört zu haben: »Lieben Sie Ihre Frau?«
    Ich presste die Lippen zusammen und zischte ihn an: »Ich bin nicht gekommen, um mit Ihnen über meine Gefühlslage zu sprechen.«
    Das Gespräch verlief so unerfreulich! Ganz anders als ich beabsichtigt hatte. Ich hatte mir – wenn überhaupt – vorgestellt, in diesen Laden zu marschieren und kurz eine Frage an einen blassen und ungesund aussehenden Ex-Junkiezu richten. Der Typ hätte eine mir schon bekannte Geschichte bestätigt und ich wäre wieder meiner Wege gegangen. Ich hätte getan, was ich hatte tun können, die Sache wäre erledigt gewesen, abgehakt.
    Aber Hürli hatte allem eine neue Wendung gegeben. Eine beunruhigende Wendung. Seine Fragen gefielen mir nicht. Sie rührten unmittelbar an meinen wunden Punkt: die Liebe zwischen Anouk und mir.
    »Also
ja.
Sie scheinen Ihre Frau sogar sehr stark zu lieben, sonst wären Sie jetzt nicht hier«, gab Hürli sich selbst die Antwort. »Dann will ich Ihnen jetzt etwas sagen: In meinem Leben habe ich schon eine Menge an Dreck gesehen, der eigentlich für mehrere Menschen reichen würde. Doch irgendwie habe ich es geschafft, aus diesem ganzen Elend herauszukommen, bis jetzt. Ich habe gesehen, wie Leute buchstäblich verreckt sind, im Delirium, auf der Straße, auf irgendeinem Klo in irgendeiner Stadt. Und das Erlebnis damals, mit der Polizei, mit diesen miefigen Beamten, die mich wie eben jenen Dreck, der ich war, behandelt haben, das hat mich – ob Sie’s glauben oder nicht – aufgerüttelt. Ich war ganz unten und das war meine Chance für einen Neuanfang. Die habe ich genutzt. Und Sie auch.« Hürli stach mit dem Finger in meine Richtung. »Auch Sie haben eine zweite Chance bekommen. Sie sind, soweit ich das sehe, gesund und bis auf ein paar Narben sieht man nicht viel … Sie mögen ein paar Gedächtnislücken haben. Aber Sie haben, wenn ich mich nicht irre, eine Firma. Und Sie haben eine Frau, die Sie liebt. Und alles andere wird sich finden.«
    »In den USA hätten Sie gute Aussichten als Laienprediger.«
    Er ignorierte meinen scherzhaften Tonfall und sah mich ernst an. Plötzlich sagte er: »Ich sehe schon, Sie wollen es trotzdem wissen.«
    Ich nickte.
    Er seufzte. Ohne weitere Umschweife legte er los: »Was ich zu sagen habe, wird Ihnen nicht gefallen. Denn es ist genau das, was ich damals bei der Polizei zu Protokoll gegeben habe.
    Herr Winther, ich bin sicher, dass der Tote auf Ihrem Firmengelände
nicht
Toni Giaconuzzi war.
    Es war genau zwei Tage nach dem Brand in Ihrer Firma. Ich weiß das deshalb, weil ich die Schlagzeilen über den Brand am Zeitungsständer gesehen hatte. An diesem Tag traf ich
ihn
am Friedrichshafener Bahnhof. Wir wechselten ein paar Worte. Aber wir waren nicht gut miteinander bekannt. Er war ein – entschuldigen Sie den Ausdruck – aufschneiderisches Arschloch, ein unangenehmer Typ eben, der dauernd mit allem Möglichen vom Leder zog. Er prahlte mit allen erdenklichen Projekten, in die er angeblich gewinnbringend ›investiert‹ hatte. In Wahrheit war das einzige Projekt, bei dem ich ihn wirklich aktiv erlebt habe, das Schnaps-Projekt, na ja … Wo war ich? Ach so, ja … Dort am Bahnhof lud er mich zu einem Bier ein, was ziemlich ungewöhnlich für ihn war. Wie wir anderen ja auch war Giaconuzzi eigentlich ständig pleite.
    Ich glaubte ihm kein Wort, dachte, am Ende würde ich für ihn mit bezahlen müssen, und das sagte ich ihm auch. Na ja, und dann holte er ein fettes Bündel Geldscheine aus der Tasche: Hunderter und ein paar Fünfhunderter. Ich war sprachlos. Als er das bemerkte, zog er auch noch ein Flugticket aus der anderen Tasche und hielt es mir vor die  Nase. Es war auf seinen Namen ausgestellt, an das Datum erinnere ich mich nicht. Aber ich bin ganz sicher, dass es echt war. Und dass sein Name darauf stand:
Toni Giaconuzzi.
Und das alles zwei Tage
nach
dem Brand in Ihrer Firma. Er kann also nicht dabei umgekommen sein!«
    Ich hatte Justus Hürli die ganze Zeit über scharf fixiert. Seinen Bericht hatte er sicher und flüssig vorgetragen, so, als hätte er diese Worte schon oft gesprochen, als hätte er sie völlig verinnerlicht. Er wirkte äußerst souverän. Wie ich ihn

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