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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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geschüttet hatte. Sie lächelten und taten so, als würden sie sich angeregt unterhalten. Als wäre alles echt! Als perlte tatsächlich Champagner in ihren Kelchen, als würden sie sich tatsächlich freuen, als hätten sie tatsächlich einen verloren geglaubten Freund wiedergefunden.
    Ich sah in all die glänzenden Gesichter, in all die Augen, die um unseretwillen so freundlich zu blicken schienen, nickte auf all die scherzhaften und lustigen Satzfetzen, die zu mir herüberwehten.
    Ich lächelte zurück und hakte im Geiste meine Liste ab. Ach ja, das waren Traudl und Wolfgang, Petra mit Walter, Sylvia, Emmi, Johann, das musste Rebecca sein, das Paul. Und so in einem fort. Immer wieder erhob ich mein Glas, prostete jemandem zu und schlenderte schnell zum nächsten Grüppchen. Ich erkannte sie alle. Von den Fotos. Und dabei blieben sie mir alle zutiefst fremd.
     
    Je später es wurde, desto lauter wurde das Gelächter, desto lebhafter die Gesten und funkelnder die Blicke. Im Gegensatz zur Mehrheit der Gäste blieb ich bei Wasser und Orangensaft. Mittlerweile gelang es mir, mich ein wenig zu entspannen. Ich rief die Anekdoten zu den Gesichtern ab, ließ, wenn es passte, eine Bemerkung fallen, die von Vertrautheit kündete, und schloss mich ansonsten dem Lachen der anderen an.
    Anouk hatte recht gehabt. Barbara hatte wirklich alle Register gezogen. Im Garten gab es Gauklerspiele und Pantomimenstücke. Eine große Blonde mit erstaunlich tieferStimme sang mal Jazziges, mal Poppiges, Südamerikanisches und sogar ein wenig Fado. Unzählige Fackeln tauchten den Garten in ein sanftes orangerotes Licht.
    Inzwischen hatte ich Anouk völlig aus den Augen verloren. Erst spät sah ich sie wieder. Sie stand im Garten, einem großen dunkelhaarigen Mann gegenüber. Es musste John sein, ein Galerist aus Bregenz. Die Schatten der Fackeln zuckten über Anouks Gesicht.
    Ich befand mich in einer dunklen Ecke des Gartens und beobachtete die beiden. Anouk redete aufgeregt auf ihn ein und er lauschte ernst und aufmerksam.
    In diesem Moment explodierte der Himmel über uns. Das Feuerwerk begann.
    Jemand berührte mich am Arm. Barbara.
    Sie lächelte mir zu und deutete mit dem Zeigefinger nach oben. Gelbe, grüne und rote Raketen jagten einander, anschließend zauberte jemand Herzen aus unzähligen Rotpunkten über unsere Köpfe und schließlich ließen bunte Lichterbäume ihre Früchte in der Dunkelheit verglimmen. Barbara schien äußerst zufrieden mit diesem Programmpunkt zu sein.
    Sie hakte sich bei mir unter und zog mich ein Stück weit fort, hinter einen Baum.
    Jetzt folgte noch eine Zugabe: Goldregen in immer höheren Kaskaden. Eine Weile lang betrachteten wir alles schweigend. Ich war gelöster Stimmung, erleichtert wie schon lange nicht mehr. Im wahrsten Sinne hatte ich die Feuertaufe bestanden. Ich war in Max Winthers verblasste Spuren getreten und ein Stück weit in ihnen zurückgegangen.
    »Endlich bist du wieder da.« Barbaras Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ihr Mund war viel zu nah an meinem Ohr.
    Auf meiner Netzhaut verglühten neuerliche Lichtreflexe und Barbaras Gesicht tauchte unmittelbar vor mir auf. Es leuchtete in den Farben des Feuerwerks, ihre Pupillen funkelten dunkel.
    »Du hast dich verändert.« Ihre Augen glitten über mein Gesicht. Mir wurde unbehaglich zumute. »Dein Blick, selbst deine Stimme. Und du bist … verhalten geworden.«
    Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte, bis mich ein Böllerknall mit rosa Funkenregen aus der Verlegenheit rettete. Und dennoch: Barbara sah aus, als würde etwas fehlen, als müsste ich in irgendeiner Form reagieren, ja gar, als hätte ich meinen Einsatz verpasst.
    Als sie erneut zu sprechen anhob, schwang etwas in ihrer Stimme mit, das ich nicht deuten konnte. Der Tonfall war eindringlich und sanft zugleich. In jedem Fall äußerst unangenehm.
    »Was ist bloß passiert?«
    Ich räusperte mich. »Du weißt doch, was passiert ist!«
    »Das meine ich nicht.«
    »Was meinst du dann?«
    »Das weißt du nicht?«
    »Nein, Barbara …« Ich wollte mich nicht weiter in eine Ecke drängen lassen. Angriff war noch immer die beste Verteidigung. »Ich wäre fast gestorben bei diesem Brand. Ich hatte schwere … schwerste Verletzungen und ich …« Ich verstummte abrupt. Ich konnte und wollte Barbara mein Geheimnis nicht preisgeben.
    Doch Barbara schien zu spüren, dass es da noch etwas gab, und ihr Blick bekam etwas Bohrendes, ihre Stimme drängte: »Max, was ist denn geschehen?

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