Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
hocken, verbessert das nicht gerade die Stimmung. Alle sind zurzeit ein wenig zickig.« Sie presste ein kurzes Lachen heraus. »Hab ich gesagt, etwas zickig? Es hat schon seinen Grund, dass wir bei uns im Haus keine Waffen aufbewahren.«
»Janice, nun komm aber.«
»Okay, ich mein’s ja nicht so.« Janice trocknete sich ihre Hände ab und reichte dann das Küchentuch ihrer Schwester. Sie ging zur Kochinsel, zog einen Stuhl für Kathy heran und setzte sich auf einen anderen. »Sagen wir’s so: Ich bin jedenfalls dankbar, dass wir uns für ein paar Stunden nicht auf die Füße treten.«
»Wieso ist Michael paralysiert? Die Arbeit?«
»Nein, mit der Arbeit ist alles bestens. Das Weihnachtsgeschäft war besser als erwartet. Unglaublich hektisch, aber erfreulich.«
»Was denn? Läuft zwischen euch beiden was schief?«
»Nun.« Janice hielt inne. »Wir haben sicher schon bessere Zeiten erlebt, aber das ist es auch nicht. Sagt der Name Ro Curtlee dir was?«
Kathy runzelte konzentriert die Stirn.
»Nicht, dass ich wüsste. Wer ist das?«
»Erinnerst du dich noch an die Jury, in der Michael vor zehn Jahren saß?«
»Nur noch vage. Vor zehn Jahren hatte ich zwei zweijährige Schreihälse, und mein ganzes Leben lag unter einer Dunstglocke. War Michael nicht Sprecher der Jury?«
»Genau. Und sie befanden Ro für schuldig und ließen ihn wegsperren.«
»Richtig, ich erinnere mich. Aber dann rückten euch seine Eltern auf die Pelle. Oder wie war das?«
»Genau.« Für Janice Durbin waren die Erinnerungen so lebendig, als wäre alles erst gestern passiert. Nachdem die Zeitungen Interviews mit den anderen Geschworenen geführt hatten, kristallisierte sich heraus, dass Michael beim Zustandekommen des Urteils eine zentrale Rolle gespielt hatte. In der Jury hatten sich zunächst zwei Gruppierungen gebildet, die jeweils fünfzig Prozent der Stimmen auf sich vereinten, aber Michael hatte sich in den Beratungen für eine Verurteilung starkgemacht und am Ende auch die anderen sechs Geschworenen überzeugt.
Als die Curtlees davon erfuhren, setzten sie alles daran, die Existenz ihres Mannes zu zerstören – und hätten fast Erfolg damit gehabt. Er arbeitete damals als Compu terspezialist bei einer der großen Anwaltskanzleien – ein geregelter Job, der ihm auch noch Zeit fürs Malen, seine große Leidenschaft, ließ. Die Curtlees kannten seinen Arbeitgeber – und Durbin sah sich prompt mit allen nur erdenklichen Anschuldigungen konfrontiert: dass er Büromaterialien gestohlen habe, dass er die Computer privat genutzt habe – bis er am Ende auf die Straße gesetzt wurde. Selbst nach sieben Jahren Firmenzugehörigkeit bekam er keine Abfindung, stattdessen sagte man ihm, er könne sich glücklich schätzen, nicht auch noch vor den Kadi gezerrt zu werden.
Als dann im »Courier« auch noch ein Artikel über Durbin, den selbstgerechten Pharisäer und überführten Dieb, veröffentlicht wurde, stand er bei den anderen Kanzleien vor verschlossener Tür und fand fast ein Jahr lang keine Arbeit. Und hatte nicht einmal mehr die innere Ruhe zum Malen.
Janice seufzte: »Ich glaube, dass er die Malerei aufgeben musste, hat ihn am schwersten getroffen.«
»Es war eine schlimme Zeit«, sagte Kathy. »Ich hatte die Geschichte fast schon vergessen, auch die Sache mit der Malerei.«
»Michael konnte es jedenfalls nicht vergessen. Er ist innerlich nie damit klargekommen.«
»Und dann noch drei Kinder«, sagte Kathy.
»Ich weiß. Und trotzdem …« Sie kniff ihren Mund zusammen. »Und trotzdem war es fast ein Wunder, dass er die UPS -Filiale übernehmen konnte. Irgendwie müssen die Curtlees davon nichts mitbekommen haben. Zumindest dachten wir, dass sie endgültig aus unserem Leben verschwunden seien.«
»Das sind sie doch auch, oder?«
»Wir hoffen es. Aber vielleicht täuschen wir uns auch.«
»Wieso?«
»Weil letzte Woche ein paar geisteskranke Richter Ros Berufung stattgegeben haben – und dann ein anderer Idiot ihn gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt hat, bis der neue Prozess beginnt. Was bedeutet, dass Ro, der verurteilte Mörder, hier unbehelligt herumläuft. Und Michael hat Angst, dass alles wieder von vorne anfangen könnte, dass der ganze Horror, den wir durchleben mussten, völlig umsonst war. Und diese Vorstellung paralysiert ihn eben. Wenn Ro wieder frei ist, war Michaels Engagement in der Jury völlig für die Katz. Es war alles nur ein großer kosmischer Scherz.«
Draußen auf der Straße ging das Football-Match
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