Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
früheren Leben kappen. Wenn man all das beherzigt – und die meisten Leute können das nun mal nicht –, dann ist man verschwunden.«
Denardi lehnte sich im Stuhl zurück: »Und Gloria Gonzalvez war so clever?«
»Anscheinend, auch wenn nicht Cleverness das entscheidende Kriterium ist, sondern der Wille, das Vorhaben auch konsequent durchzuziehen. Jeder kann den Entschluss fassen, nur noch mit Bargeld zu zahlen, und für 50 oder 100 Dollar bekommt man getürkte Papiere, die völlig ausreichend sind. Der Fehler unterläuft den meisten, wenn es einen Todesfall in der Familie gibt oder eine Hochzeit oder eine Geburt – und man dann jemanden aus seinem früheren Leben kontaktiert. Gloria hat sich das wohl verkniffen – und deshalb kann ich sie nicht finden.«
Denardi legte seinen Füllhalter auf den Schreibtisch und dachte nach. »Kann es sein, dass sie noch immer Zeugenschutz hat?«
»Glaub ich nicht. Gewöhnlich wird der Schutz nur bis zum Gerichtstermin gewährt – danach muss man wieder selbst auf sich aufpassen.«
»Was hat sie denn im Anschluss an ihre Zeugenaussage getan? Gibt es da nicht ansatzweise eine Spur?«
»Nein, sie tauchte sofort unter. Jemand muss ihr dabei unter die Arme gegriffen haben.«
»Das wird mein Klient nicht gerne hören.«
»Tut mir leid, Sir. Wenn Sie wollen, kann ich gerne weiter dranbleiben, aber wenn sie nicht in meinen Datenbanken auftaucht, weiß ich nicht so recht, wo ich anfangen soll.«
»Haben Sie es schon mit der – wie heißt das doch gleich? – der Pizzaliste versucht?« Moylan hatte Denardi schwer beeindruckt, als er ihm erstmals von der sogenannten Pizzaliste erzählt hatte. Wie jeder weiß, der je telefonisch eine Pizza bestellt hat, wird zuerst nach der Telefonnummer, dann nach dem Namen gefragt. Diese Datenbanken, mit denen in den USA die meisten Pizzaketten arbeiten, werden dann an Marketingorganisationen verkauft – oder eben auch an Privatdetek tive. Es ist ein ungemein effizientes Instrument, um verschollenen Personen auf die Spur zu kommen.
Aber Moylan schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Und warum nicht?«
»Das Budget. Sie haben mir nur vier Stunden zugestanden. Außerdem glaube ich auch nicht, dass sie noch Gloria Gonzalves heißt.«
»Wie wäre es dann nur mit Gloria?«
»Klar, theoretisch schon.«
»Dann suchen Sie doch nach Glorias.«
»Tristan, es gibt wahrscheinlich 40 oder 50 Telefonbuchseiten mit Glorias. Soll ich die etwa alle anrufen?«
»Sie könnten in Kalifornien anfangen.«
Moylan lachte leise. »Okay, dann haben wir vielleicht nur noch 2 000 Namen. Wenn ich die alle anrufe, brauche ich eine Woche, vielleicht auch zwei, also achtzig Stunden – und am Ende stehen wir trotzdem mit leeren Händen da. Verstehen Sie mich nicht falsch: Wenn Sie das wollen, nehme ich den Auftrag mit Kusshand an, aber Sie sollten schon wissen, worauf Sie sich einlassen.«
Denardi fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Meine Klienten möchten um jeden Preis mit ihr sprechen. Sie ist nun mal die letzte Zeugin, und sie sind sich sicher, Gloria davon überzeugen zu können, nicht wieder auszusagen.«
»Und ich wünsche ihnen dabei alles Gute. Aber wenn sie erfolgreich untergetaucht ist, wird der Staatsanwalt sie genauso wenig auftreiben können.«
»Das ist sicher ein triftiges Argument. Sollte der aber Gloria zuerst finden, werden sie ihr wieder Zeugenschutz geben – und wir sind die Dummen. Mir wäre es erheblich lieber, wenn wir sie zuerst finden würden.«
»Dann bleib ich also am Ball?«
Denardi nickte. »Sie haben eine Woche – und dann sehen wir weiter.«
Sheila Marrenas betrat Michael Durbins Geschäft durch den Haupteingang, stellte sich geduldig in der Schlange an und nahm – als sie am Schalter angekommen war – ihre dunkle Sonnenbrille ab, zeigte ihren Presseausweis und fragte ihn lächelnd, ob er ein paar Minuten für sie erübrigen könne.
Sein Gesicht wurde blass. »Ich glaube nicht. Nein.«
»Wollen Sie denn, dass Ihre Version der Geschichte unterschlagen wird?«
»Meine Version welcher Geschichte?«
»Der Tod Ihrer Frau. Ich habe gehört, dass Sie diesbezüglich mit Kommissar Glitsky gesprochen haben.«
»Und woher wissen Sie davon?«
Sie zuckte die Schultern. »Das spielt wirklich keine Rolle, Michael. Ich spreche halt mit allen möglichen Leuten. Ich möchte Ihnen doch nur die Möglichkeit geben, zumindest einige der Punkte klarzustellen, die mir zu Ohren gekommen sind. Und ich denke, das ist in Ihrem eigenen
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