Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
Ordnung rief. Als die Tür geöffnet wurde, zeigte Glitsky seine Marke und sah in das wütende Gesicht eines etwa 35-jährigen Latinos. Er trug einen Schürhaken in seiner rechten Hand und war offensichtlich gewillt, ihn bei der geringsten Provokation einzusetzen.
»Si?«
»Abe Glitsky, San Francisco Morddezernat. Homocidio. Comprendo? «
Hinter dem Mann sah Glitsky ein hell erleuchtetes Wohnzimmer. Zwei kleine Jungs hatten sich hinter den Beinen ihres Vaters versteckt und warfen Glitsky neugierige Blicke zu. Auf dem Sofa saß eine Frau mit Baby, die – als sie Glitskys Namen hörte – aufstand und zur Tür kam. »Roberto, ist schon in Ordnung«, sagte sie. »Ich kenne den Mann. Lass ihn rein.«
Sie bot Glitsky ein Handtuch an, um Gesicht und Haare zu trocknen, und hängte seine durchnässte Jacke über einen Stuhl vor der Heizung. Das Haus war schlicht eingerichtet, aber adrett aufgeräumt und so gut beheizt, dass die Fensterscheiben beschlagen waren. Glitsky setzte sich zu ihr an den Esstisch, der sich außerhalb des Wohnzimmers befand. Sie hatte ihr Baby im Arm, während der Vater die Kinder auf das Sofa schickte, wo sie ohne Widerspruch Platz nahmen. Glitsky hatte den Eindruck, als hinge eine Spannung im Raum, die nur darauf wartete, sich zu entladen.
»Ich bin so froh, dass ich Sie gefunden habe«, sagte er.
Sie rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Ich freue mich auch, Sie zu sehen. Gibt es ein Problem?«
»Nun.« Glitskys Erleichterung, sie lebend und unverletzt zu sehen, war mit den Händen zu greifen. »Möglicherweise. Ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben, aber Ro Curtlee wurde aus dem Gefängnis entlassen.«
Sie schaute – warnend? – zu ihrem Ehemann, legte die Arme um ihr Baby, wiegte es auf ihren Knien und schüttelte den Kopf. »Wie ist das passiert?«
»Er hat Einspruch gegen das Urteil erhoben und bekommt nun einen neuen Prozess. Aber in der Zwischenzeit ist er auf Kaution frei.«
»Warum machen sie so was?«
»Darauf habe ich auch keine schlaue Antwort. Tatsache ist: Er ist draußen. Haben Sie nichts von ihm gehört?«
»Nein. Warum sollte ich von ihm hören?«
»Er könnte ein Interesse daran haben, Sie von einer weiteren Aussage als Zeuge abzuhalten. Bei dem kommenden Prozess werden wir Sie nämlich als Zeugin brauchen.«
»Aber ich habe doch schon beim letzten Mal alles gesagt.«
»Ja, das weiß ich.«
»Zählt meine Aussage denn nicht mehr?«
»Doch, aber es wirkt überzeugender, wenn Sie die Aussage noch einmal vor den Geschworenen machen.«
»Tut mir leid«, sagte sie, »aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das noch einmal tun kann.«
Glitsky wusste nur zu gut, dass ihm eine heikle Mission bevorstand. »Ich kann Ihre Gefühle gut nachvollziehen«, sagte er. »Aber wir sind an dem Punkt angelangt, wo Sie die wichtigste Zeugin sind, wenn wir ihn wieder ins Gefängnis bringen wollen.«
Gloria schaute zu ihrem Mann, der reglos am Tisch saß und Glitsky ununterbrochen angestarrt hatte. »Wie kann es zu diesem Punkt kommen? Was ist mit den anderen Zeuginnen, was ist mit Felicia?«
Glitsky atmete tief ein und aus. »Felicia ist tot.«
Gloria bekreuzigte sich. Ihre Lippen zitterten.
»Sie starb in einem Feuer«, sagte Glitsky.
»Seit Ro aus dem Gefängnis frei ist?«
Glitsky zögerte, nickte dann aber. »Ja.«
»Er hat sie umgebracht.«
»Möglich. Wir können es nicht ausschließen.«
Urplötzlich meldete sich Roberto zu Wort: »Sie kann es nicht noch einmal tun«, sagte er. »Das ist alles.«
»Nun, ich befürchte, das ist nicht alles, Sir. Seit fast einem Monat versuche ich, Gloria ausfindig zu machen. Nachdem ich sie nun gefunden habe, möchte ich sie – und die ganze Familie – in ein Zeugenschutz-Programm stecken, bis der Prozess beginnt.«
»Nein, das können wir nicht machen«, sagte Gloria. »Ich habe das beim letzten Mal gemacht, als ich allein war, aber jetzt haben wir Jobs und leben unser Leben. Ich kann nicht wieder einfach so untertauchen.«
»Es geht nur um die Zeit bis zu Ihrer Aussage.«
»Und wann wäre das?«
»Im August, vielleicht auch später.«
Sie musste fast lachen angesichts der Absurdität des Vorschlags. »Nein«, sagte sie. »Ich bin keine Bedrohung für ihn, also ist er auch keine Bedrohung für mich – wenn ich nicht aussage. Also werde ich es auch nicht tun. Es ist ganz einfach.«
Glitsky spürte, dass er innerlich zu frösteln begann. Er wollte nicht unnötig Druck auf diese Frau ausüben, aber er musste ihr
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