Der Angstmacher
Frauen ab, und im Wohnraum stand auch das Geschenk. Ellen Saler hatte zwei Sessel zur Seite gerückt, um Platz zu schaffen.
Sally übertrat die Schwelle und sah genau das Instrument, das sie sich so sehr gewünscht und nach dem sie sich auch so stark gesehnt hatte. Es war eine Harfe!
Sally Saler blieb stehen. Sie hatte nur Augen für die große Harfe, deren Saiten leicht grünlich schimmerten, als hätte jemand mit einem Pinsel darüber hinweggestrichen.
»Du sagst nichts, Kind«, wunderte sich Ellen Saler und drückte die Hand ihrer Tochter. »Sie… sie ist einfach wunderbar.«
»Ja? Gefällt sie dir?«
»Sehr sogar.«
»Sie gehört jetzt dir, Kind…«
Sally nickte und wischte über ihre Stirn. Sie konnte es kaum fassen, daß die Harfe nun ihr Eigentum war. Sie wußte nicht, ob sie jubeln, lachen oder ihre Freude still genießen sollte. Jedenfalls war sie sprachlos geworden und starrte das Instrument nur an.
Das Saiteninstrument bestand aus einem hellen Holz und gehörte nicht zur Gruppe der einfachen Pedalharfen. Dieses Instrument besaß zwei Pedale und gestattete eine zweifache Erhöhung und damit eine Einstellung sämtlicher Tonarten. Sie mußte ein kleines Vermögen gekostet haben, und Sally wußte nicht, was sie sagen sollte.
»Du bist so schweigsam, Kind. Gefällt sie dir nicht?«
»Doch, Mum, sie ist wunderschön.«
»Aber…«
Sally hob die Schultern. »Weißt du, ich kann es noch immer nicht begreifen, daß sie mir gehören soll.«
»Hast du sie dir nicht schon immer gewünscht?«
»Ja, aber…« Das Mädchen hob die Schultern. »Ist die Harfe nicht unwahrscheinlich teuer?«
»Nein.«
»Mum, du…«
»Laß mich ausreden, Kind. Sie war nicht so teuer. Ich habe sie sehr günstig bekommen.«
»Sie ist aber neu und nicht gebraucht, das sehe ich sofort.«
»Mag sein, dennoch war der Preis unwahrscheinlich günstig. Ich habe mich selbst gewundert.«
Sally hob die Schultern. »Ich weiß gar nicht, ob ich das Geschenk überhaupt annehmen kann.«
»Das kannst du schon, Kind. Geh zu ihr, sie gehört dir. Versuche, darauf zu spielen.«
»Zupfen, Mum. Die Harfe ist ein Zupfinstrument.«
»Meinetwegen auch das.«
Sally traute sich kaum, auf ihr Geschenk zuzugehen. Sie war zu erschlagen, die Überraschung hatte voll geklappt, obwohl sie ja gewußt hatte, was auf sie zukommen würde. Daß die Harfe allerdings so wunderbar aussehen würde, damit hatte auch sie nicht gerechnet. Sally bewegte sich nur sehr langsam, als könnte sie es nicht fassen, daß dieses Geschenk tatsächlich für immer in ihrem Besitz, bleiben sollte. Durch das Wohnzimmerfenster schien Sonnenlicht und erreichte auch die Saiten, die aufschimmerten wie dünne Wasserfäden. Abermals wunderte sich das Mädchen über den Farbton der Saiten, nahm es jedoch hin, ohne ein Wort darüber zu verlieren.
»Ich verstehe dich nicht, Kind«, sagte Ellen Saler. »Du stehst hier, schaust dir das Instrument an und hast kein Verlangen danach, es einmal auszuprobieren.«
»Doch, Mutter.« Sally nickte.
Sie legte ihre Hand gegen den Rücken der Tochter. »Weshalb gehst du dann nicht hin?«
»Ich weiß nicht.«
»Wieso weißt du es nicht?«
»Es ist so komisch. Nicht daß ich Furcht davor hätte, aber auf irgendeine Art und Weise ist mir die Harfe doch fremd. Du wirst darüber lachen, aber es stimmt.«
»Das wundert mich doch, Sally. Ich begreife dich nicht. Du hast dir eine Harfe schon immer gewünscht. Es ist die Erfüllung eines Traumes. Und jetzt machst du einen Rückzieher.«
»Nein, keinen Rückzieher, aber ich kann es noch nicht fassen, daß sie mir gehört.«
Ellen Saler lachte. »So ist das. Na, da brauchst du dir nun wirklich keine Sorgen zu machen. Die Harfe gehört dir. Sie ist dein Geburtstaggeschenk, und sie soll dich ein Leben lang begleiten, hörst du?«
»Ja, natürlich.«
»Dann geh endlich!«
Sally gehorchte. Sie kam sich dabei vor, als würde sie die kurze Strecke über einen schwankenden Boden zurücklegen. In der Tat hatte sie sich ein so phantastisches Musikinstrument schon immer gewünscht. Doch nun, da es sich in ihrem Besitz befand, fürchtete sie sich plötzlich davor. Darüber konnte sich Sally nur wundern.
Neben der Harfe blieb sie stehen. Sie wollte etwas sagen, da spürte sie, daß sich die Härchen auf ihren Armen hochstellten. Ein dünner Stromfluß kroch über ihre Haut und breitete sich über dem gesamten Körper aus, wo er einen Schauer hinterließ.
Das sah auch Ellen Saler. »Was hast du, Kind?
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