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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schmutzigen Fingern hatten sie schmuddelig werden lassen.
    Als mein Schatten über ihn fiel, drehte der Mann mit der gelben Karte sich um und musterte mich mit trüben Augen.
    »Scheiße, wer bist du?«, fragte er, nur klang das eher wie Scheie bissu?
    Al hatte mir keine genauen Anweisungen gegeben, wie ich Fragen beantworten sollte, deshalb sagte ich, was mir am sichersten vorkam. »Das geht dich einen Scheiß an.«
    »Dann scheiß auch auf dich.«
    »Fein«, sagte ich. »Wir stimmen überein.«
    »Hä?«
    »Schönen Tag noch.« Ich wollte in Richtung Stahlschienentor los, das offen stand. Draußen links lag ein Parkplatz, der dort niemals gewesen war. Er stand voller Autos, von denen die meisten verbeult und alle alt genug waren, um in ein Automuseum zu gehören. Dort standen Buicks mit Bullaugen und Fords mit Torpedobug. Sie gehörten heutigen Fabrikarbeitern, dachte ich. Heutigen Arbeitern, die jetzt da drin waren und für ihre Arbeit nach Stunden bezahlt wurden.
    »Ich hab ’ne gelbe Karte vom Greenfront«, sagte der Säufer. Er wirkte streitsüchtig und verunsichert zugleich. »Also gib mir ’nen Dollar, heute ist nämlich Zwei-für-eins-Tag.«
    Ich hielt ihm das Fünfzigcentstück hin, und während ich mir wie ein Schauspieler vorkam, der im ganzen Stück nur einen Satz zu sagen hatte, sagte ich: »Ich habe keinen Dollar übrig, aber hier ist ein halber.«
    Dann gibst du ihm das Geldstück, hatte Al gesagt, aber das war nicht nötig. Der Gelbe-Karten-Mann riss es mir aus der Hand und hielt es sich dicht vors Gesicht. Im ersten Augenblick dachte ich, er würde tatsächlich hineinbeißen, aber er ballte seine langfingrige Hand nur zur Faust und ließ es verschwinden. Als er wieder zu mir aufsah, wirkte sein misstrauisches Gesicht fast schon komisch.
    »Wer bist du? Was machst du hier?«
    »Weiß der Teufel«, sagte ich und wandte mich wieder dem Tor zu. Ich erwartete, dass er mich weiter mit Fragen bombardieren würde, aber hinter mir herrschte Schweigen. Ich ging durchs Tor hinaus.
    4
    Der neueste Wagen auf dem Parkplatz war ein Plymouth Fury – Mitte bis Ende der Fünfzigerjahre, schätzte ich. Das Nummernschild sah wie eine unglaublich altmodische Version meines rückwärtigen Subaru-Nummernschilds aus; das war auf Wunsch meiner Exfrau mit aufgedrucktem rosa Brustkrebs-Band geliefert worden. Auf dem, das ich jetzt begutachtete, stand jedenfalls VACATIONLAND , aber es war nicht weiß, sondern orangerot. Wie in den meisten Bundesstaaten hatten Kennzeichen aus Maine jetzt auch Buchstaben – bei meinem Subaru beispielsweise 23383 IY –, aber das Kennzeichen am Heck des fast neuen weiß-roten Furys lautete 90-811. Keine Buchstaben.
    Ich berührte den Kofferraumdeckel. Er war hart und von der Sonne ganz warm. Er war real.
    Du überquerst die Bahngleise und bist an der Kreuzung von Main und Lisbon. Danach gehört die Welt dir, Kumpel.
    Vor der alten Weberei führten keine Bahngleise vorbei – zumindest nicht in meiner Zeit –, aber hier gab es sie wirklich. Auch keineswegs nur als übrig gebliebene Artefakte. Ihre Oberfläche glänzte wie poliert. Und irgendwo in der Ferne konnte ich das Wuff-tschuff eines richtigen Zuges hören. Wann waren zuletzt Züge durch Lisbon Falls gefahren? Vermutlich nicht mehr, seit die Fabrik zugemacht hatte und U.S. Gypsum (bei den Einheimischen als U.S. Gyp ’Em bekannt) noch Tag und Nacht in Betrieb gewesen war.
    Nur war sie bestimmt Tag und Nacht in Betrieb, dachte ich. Darauf hätte ich gewettet. Und die Weberei auch. Weil das hier nämlich nicht mehr das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts war.
    Ich war weitergegangen, ohne es richtig zu merken – hatte mich wie ein Schlafwandler bewegt. Jetzt stand ich an der Ecke Main Street und Route 196, die auch als Old Lewiston Road bekannt war. Nur hatte sie gar nichts Altes an sich. Und schräg gegenüber, auf der anderen Seite der Kreuzung …
    Dort stand die Kennebec Fruit Company, was wirklich ein grandioser Name für einen Laden war, der meinem Eindruck nach in den zehn Jahren, die ich an der LHS unterrichtete, immer am Rand der Pleite gestanden hatte. Sein unwahrscheinlicher Daseins zweck und einziges Überlebensmittel war Moxie, diese irrste aller Limonaden. Der Besitzer der Fruit Company, ein älterer, liebenswürdiger Mann namens Frank Anicetti, hatte mir einmal erklärt, die Weltbevölkerung zerfalle auf natürliche (und vermutlich genetisch bedingte) Weise in zwei Gruppen: die sehr wenigen, aber gesegneten

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