Der Antares-Krieg
Zeremonie geben. Danach werden wir eine Maschine nach Mexico City besteigen. Einstweilen bitte ich Sie, sitzen zu bleiben. Wir werden in ein paar Minuten vor dem Abfertigungsgebäude halten.«
Ciudad de Mexico war die größte Metropole, die Bethany Lindquist je gesehen hatte. Von ihrem Zimmer in einem der Hochhäuser, die das Bild der inneren Stadt beherrschten, konnte sie über die uferlose Stadtlandschaft zu den Vulkanen Istacihuatl und Popocatepetl sehen. Viel näher und dadurch ähnlich eindrucksvoll, ragte das von Menschen errichtete Gebirge aus Beton und Glas, welches das Wirtschaftsministerium mit der internationalen Handelskammer und dem Rat für Interstellare Wirtschaftsbeziehungen und Zusammenarbeit beherbergte. Mit einem Lächeln erinnerte sich Bethany, wie ihr ein ehrfurchtsvoller Schauer über den Rücken gegangen war, als sie zuerst diese archaischen, in den Marmor über dem Haupteingang gemeißelten Worte gelesen hatte. Hier schlug das eigentliche Herz des ganzen, von Menschen bewohnten Raums. Sie hatte immer gewusst, dass die Zentralregierung aus einer Handelsvereinigung hervorgegangen war. Die Ereignisse, durch welche diese Organisation den Rang einer internationalen Körperschaft und schließlich den einer souveränen Regierung erlangt hatte, waren Legende. An Ort und Stelle aber nahm sich alles ganz anders aus und prägte sich dem Gedächtnis nachhaltiger ein, als wenn man an einem Computerbildschirm darüber las.
Bethany blieb drei Tage in Mexico City. Der erste Tag brachte einen Auftritt vor dem Rat für Interstellare Wirtschaftsbeziehungen. Sie und die anderen Kolonisten saßen in der zentralen Rotunde des Rates, während ein Redner nach dem anderen die Besucher aus den verlorenen Systemen des Antares-Haufens begrüßte und pries. Doch spätestens nach einer halben Stunde fiel Bethany auf, dass die Reden voll von wohltönenden Phrasen und unverbindlichen Absichtserklärungen waren, aber bar aller konkreten Vorschläge oder Angebote.
Nach der allgemeinen Sitzung wurden die leitenden Persönlichkeiten der Helldiver-Expedition zu einem Regierungsempfang gebeten. Bethany versuchte in die Gruppe miteinbezogen zu werden, aber Admiral Gower weigerte sich mit dem nicht unfreundlich vorgebrachten Hinweis, dass sie nach eigenem Bekenntnis eine Interessenvertreterin der anderen Seite sei.
Während die Militärs, Wissenschaftler und Wirtschaftsexperten sich aufmachten, mit den jeweils zuständigen Ministern und ihren Beratern zusammenzutreffen, suchte Bethany die Bibliothek der Universidad de Mexico auf, wo sie Zusammenfassungen des Geschichtsablaufs seit der Eroberung Aezers durch die Ryall abrief. Einigermaßen entmutigt musste sie feststellen, dass sich nicht viel geändert hatte, seit die Sandarer vom Rest der Menschheitshegemonie abgeschnitten worden waren. Der Krieg gegen die Ryall nahm seinen Fortgang, ohne dass ein Ende in Sicht wäre, und die militärische Lage hatte sich merklich verschlechtert.
Das war nicht ihre einzige beunruhigende Entdeckung. Zwei Stunden lang hatte sie Verlautbarungen der amtlichen Nachrichtenagentur überflogen, die bis in die Tage der Antares-Supernova zurückreichten. Dabei war sie auf eine beklagenswerte Tendenz gestoßen, die dem Laien leicht entgehen konnte, nicht aber dem geschärften Blick des Historikers. Als die ersten Nachrichten von Angriffen und Verwüstungen durch die Ryall die Erde erreicht hatten, war ein gewaltiges Kriegsfieber ausgebrochen. Enorme Geldsummen waren ausgegeben worden, um die Offensivkraft und die Verteidigungsbereitschaft zu verbessern. In weniger als einem Jahrzehnt war der von Menschen besiedelte Raum zu einem reibungslos funktionierendem Mechanismus zur Führung eines interstellaren Krieges organisiert worden. In dieser Periode waren die Faltpunkt-Verteidigungsanlagen des Sonnensystems konstruiert worden. Nahezu alle Systeme, die weniger als vier Faltpunktübergänge von der Ryall-Hegemonie entfernt waren, hatte man mit ähnlichen Verteidigungsanlagen versehen. Und drei Generationen lang hatte die Menschheit unermüdlich gearbeitet, um die Ryall zu bezwingen.
Dann, vor vierzig Jahren, hatte die Entschlossenheit der Menschheit erste Sprünge bekommen. Andeutungen nachlassenden Willens waren erkennbar geworden, als die Presse aufgehört hatte, vom Sieg zu sprechen und stattdessen in einer Art stillschweigender Gleichschaltung die Wendung ›Eindämmung der Zentauren‹ zu gebrauchen begann. Im Laufe der nächsten zwanzig Jahre kamen
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