Der Antares-Krieg
Tier. Die andere Gruppe, die »Neuweltaffen« – die Unterscheidung zwischen »alt« und »neu« in diesem Zusammenhang entging Varlan vollkommen –, stammte von einem ganz anderen Vorfahren ab, der Spezies der Tarsier. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Arten von Affen war zufällig, ein Resultat ähnlicher Umweltfaktoren, die ähnliche Anordnungen von Form und Funktion erzeugt hatten.
So war es mit Varlan und den Echsen der Erde. Beide besaßen schuppige Haut und ähnliche Färbung, aber die Unterschiede überwogen bei weitem die Ähnlichkeiten. So war Varlan warmblütig und ein Sechsfüßler. Ihre Art hatte halb aquatisch gelebt und erst in einem späten Entwicklungsstadium festes Land bewohnt – wie das irdische Krokodil, das Varlan an ihre eigenen fernen Vorfahren erinnerte.
Die andere Ähnlichkeit zwischen Der Rasse und den Echsen rührte naturgemäß von der Tatsache her, dass beide Eier legten, um sich fortzupflanzen, und das Ausbrüten der Sonnenwärme überließen. Die Menschen hatten Varlan erklärt, dass Säugetiere, eine Gattung, die auf Darthan und den meisten Welten der Hegemonie unbekannt war, ein – manchmal auch zwei oder noch mehr – lebendes Junges zur Welt brachten, und das die Mutter mit den großen Brustdrüsen säugte (eine widerliche Vorstellung), die so stark zur weiblichen Gestalt beitrugen. Eine Beschreibung des Vorganges zu hören und ihn selbst zu beobachten, war jedoch zweierlei.
Zwar fand Varlan den Anblick des schleimigen kleinen Kopfes, der am Ausgang des Geburtskanals erschien, ziemlich abstoßend, doch konnte sie wenigstens intellektuell verstehen, warum der Reproduktionsprozess auf die Menschen eine so tiefe Wirkung hatte. Verstand man, was die Lebendgeburt bei Säugetieren für diese bedeutete, so konnte man viele ihrer Grundeinstellungen verstehen.
An erster Stelle war ihre Sozialstruktur zu nennen, die auf der untersten Ebene von einem Brutpaar und ihren Sprösslingen gebildet wurde. Die menschliche Familie war eine kleinere Einheit als die Sippen Der Rasse . Unter Varlans Artgenossen bestanden die Sippen aus jeweils mehreren Dutzend Individuen, die untereinander blutsverwandt waren, für die solche Verwandtschaftsbeziehungen jedoch weit weniger klar waren als unter Menschen. Das lag daran, dass die weiblichen Ryall ihre Eier ablegten und dann von der Sonnenwärme ausbrüten ließen. Die ausgeschlüpften Jungen wurden gemeinschaftlich erzogen, da es unmöglich zu unterscheiden war, welches das Kind welcher Eltern war. Gewiss, manche Jungen hatten bestimmte Zeichnungen oder besonders lange Schnauzen oder Schwänze, die dem einen oder dem anderen Erwachsenen ähnlich waren. Die tatsächliche Vaterschaft oder Mutterschaft zu beanspruchen, kam unter den Mitgliedern Der Rasse allerdings selten vor. Wenn eine Mutter sich darauf versteifte, herauszufinden, welche von den neu geschlüpften Jungen ihre eigenen waren, gaben die Sippenältesten ihr einen Namen ... und es war kein besonders höflicher Name.
Das menschliche Reproduktionssystem bedeutete, dass Mütter nicht umhin konnten, zu wissen, wer ihre Sprösslinge waren. Zum einen waren sie immer anwesend, wenn das Junge »schlüpfte«, zum anderen war es noch für lange Zeit völlig abhängig von seiner Mutter, was bedeutete, dass die Bindung zwischen Mutter und Kind stark sein musste.
Das Ergebnis dieser ganzen Säugetierbiologie war, dass Menschen in kleineren Verbänden lebten als Ryall. Diese »Familienorientierung« führte sie zu einer mehr individualistischen Lebenseinstellung und mehr Unzufriedenheit mit ihrem Los im Leben. Varlan war Mitglied der Verwalterkaste und wünschte es sich nicht anders. Sie litt weder unter dem Gefühl, dass ihr Leben irgendwie unerfüllt sei, noch unter dem Verlangen zu sein, was sie nicht war. Ihre Beobachtungen der Menschen in ihrem Umkreis hatten sie überzeugt, dass beide Zustände in der menschlichen Psyche weit verbreitet waren.
»Ist er nicht reizend?«, fragte eine Stimme neben ihr. Varlan war so tief in Gedanken versunken, dass sie Dr. Olivia Southington nicht bemerkt hatte. Sie wandte den Kopf und erwiderte: »Ich werde mich auf Ihr Wort verlassen. Schließlich ist dies der erste menschliche Säugling, den ich je gesehen habe. Er ähnelt einigen älteren Männern, denen ich begegnet bin.«
Olivia Southington lachte. »Ich weiß, was Sie meinen. Ohne Haar und mit diesen zerknautschten Gesichtern sehen Neugeborene wie verdrießliche alte Männer aus. Trotzdem finden wir sie
Weitere Kostenlose Bücher