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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zurückkamen, lag Sauerbrunn wimmernd auf dem Strohsack und hielt sich das Gesicht mit beiden Händen fest. »Meine Nase«, jammerte er. »Oh, meine Nase …«
    Julius Kerner legte sein Eßgeschirr hin. Es würgte ihn im Hals.
    »Ich laufe zum Stabsarzt«, sagte er. »Wenn wir bloß wüßten, was der Junge ausgefressen hat …«
    Kommissar Wadislav Kuwakino saß am Tisch und aß einen fetten Hammelbraten mit grünen Bohnen. Major Worotilow leistete ihm Gesellschaft, während Markow wütend die Essenausteilung überwachen mußte und sich ausrechnete, daß er nachher nur noch die Knochen abnagen durfte. Das steigerte seinen Zorn, er schlug einem Gefangenen, der etwas Suppe auf seine Stiefel verschüttete, die Schüssel aus der Hand und brüllte über den weiten Platz.
    Die Plennis duckten sich. Sie schwiegen. Stumpfheit lag in ihren Augen … gewollte Stumpfheit.
    »Ich weiß nicht, wie sie in Moskau auf den Gedanken kommen, das sei der Sohn des Chirurgen Sauerbruch. Sie müssen ihre Gründe haben, Genosse Major. Soviel ich weiß, untersuchte Sauerbruch einmal Wladimir Iljitsch Uljanow Lenin. Das hat man nicht vergessen.«
    »Aber wenn er nicht der Sohn ist, wirklich nicht?«
    Kommissar Kuwakino biß in das Fleisch. Es war gut gebraten und knackte zwischen den gelben Zähnen. Sein Gesicht war zufrieden.
    »Dann wird man ihn in Moskau verurteilen. Wegen Irreführung. Fünfundzwanzig Jahre Zwangsarbeit …«
    »Aber er hat doch beteuert, daß er nicht der Sohn ist!«
    Kuwakino hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. Er schaufelte sich die grünen Bohnen auf die Gabel und schnalzte mit der Zunge. Fett troff auf den Teller.
    »Leider nicht so überzeugend, daß wir es glauben konnten, Genosse Major. Wie sagte Puschkin? Ein tiefer See ist stets gefährlich, auch wenn man ihn ausschöpft …«
    Die grünen Bohnen knirschten leise, als er sie zwischen den Zähnen zermalmte.
    Worotilow schwieg. Er aß nicht mehr. Er dachte an das blutige Gesicht.
    Ich war Kadett, dachte er. Sowjetkadett. Ich lernte vom ersten Tage an die Deutschen hassen.
    Aber ich bin ein Mensch. Ist es dieser Kuwakino auch?
    Er blickte zur Seite. Der Kommissar beugte sich über den Teller und schnalzte. Über sein gelbliches Gesicht mit den leicht geschlitzten Augen fielen die glatten schwarzen Haare.
    Ein Asiate, dachte Major Worotilow. In seinem Hals würgte der Ekel.
    Es war am späten Abend. Im Lager war Ruhe. Nur Karl Georg begoß noch einmal seinen Barackengarten; er lebte nur für seine Blumen und hätte die Hälfte seiner Suppe auf sie geschüttet, wenn er kein anderes Wasser hätte auftreiben können.
    Dr. Böhler sah sich die Tagesmeldungen der einzelnen Blockreviere an und blickte dann zu seinen Kollegen auf.
    »Was wissen Sie von dem Vorfall heute mittag? Hier steht: Nummer 6294/19, Sauerbrunn, Hans, Nasenbeinbruch. Die Ärztin hat ihn arbeitsfähig geschrieben …«
    »Man sollte ihr selbst die Nase einschlagen, damit sie spürt, wie weh so etwas tut!« Sellnow las die Krankmeldung durch und nickte. »Typisch Kasalinsskaja. Befund: Nasenbeinbruch! Als Holzfäller arbeitsfähig. Als Holzfäller auch nicht!«
    »Am besten ist, Sie sprechen einmal selbst mit ihr, Werner. Sie hat heute Dienst und ist im Lager.«
    »Ich?«
    »Ja. Unser Unterarzt ist zu weich.« Dr. Schultheiß wurde rot, aber er rechtfertigte sich nicht. »Sie haben da die beste Methode, Werner, Sie gehen mit dem Kopf durch die Wand. Nichts imponiert der Russin mehr als Unbeugsamkeit. Und die haben Sie, Werner.«
    »Herzlichen Dank für das Attest«, knurrte Sellnow. Er nahm seinen vielfach geflickten Rock vom Haken und schob sich aus der Tür. Dr. Böhler sah im nach, und ein leises Lächeln überzog sein schmales, abgehärmtes Gesicht.
    »Gleich wird die Baracke erzittern, und die Stühle werden in den Gang fliegen. Aber glauben Sie mir – unser Oberarzt bekommt den Nasenbeinbruch ins Lazarett …«
    Die Kasalinsskaja fuhr herum, als Sellnow nach kurzem Klopfen eintrat, ohne ihre Antwort abzuwarten. Sie trug ein seidenes Nachthemd, dünn genug, um mehr als nur andeutungsweise ihren üppigen Körper zu zeigen.
    Sellnow verzog spöttisch den Mund. Er schloß die Tür hinter sich, blieb ruhig stehen und sah die Kasalinsskaja an.
    »Was wollen Sie?« fauchte die Ärztin. »Sehen Sie nicht, daß ich schlafen will!«
    »Ich möchte mich mit Ihnen über eine Nase unterhalten.«
    »Raus!« schrie die Kasalinsskaja.
    »Genauer gesagt, über einen Nasenbeinbruch. So ein Bruch tut

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