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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sind schon wieder in Deutschland.«
    »Aber Hunderttausende leben noch in den Lagern dies- und jenseits des Urals.«
    »Auch sie werden einmal entlassen.«
    »Dann ist unsere Kraft gebrochen, Janina. Dann sind wir nur noch atmende Gespenster. Es wird viele Jahre dauern, ehe wir uns wiederfinden, mehr Jahre, als wir hier in Rußland verloren haben. Wir Menschen sind eine zu eilige Arbeit Gottes … als er uns schuf, hat er versäumt, um unsere Seele eine dicke Hornhaut zu legen …«
    »Sie sind verbittert, Jens.«
    »Vielleicht. Vielleicht ist es nur Stacheldrahtkoller. Vielleicht sind es nur ungestillte Sehnsüchte. Vielleicht ist es das dumme Etwas, das man Heimweh nennt.« Ich stopfte den vereiterten Mullknäuel in einen Eimer und legte einen Deckel aus Holz darüber. »Könnten Sie ohne die Wolga leben, Janina?«
    »Wenn ich einen Menschen liebte, mehr liebte als meine Wolga … ja, Jens.«
    »Das ist ein großes Wort …« Ich bettete den Oberfähnrich richtig und wusch ihm das Gesicht mit Wasser und den noch immer aufgequollenen Leib mit einer sterilen Lösung. Janina sah mir zu. Meine Hände waren ruhig, weit ruhiger als mein Inneres.
    »Wir haben in der Schule viel von Deutschland gelernt«, sagte sie. »Nicht nur die Sprache – auch von eurer Kultur weiß ich, von eurer Landschaft, von euren Künstlern und Gelehrten. Ihr seid ein kluges Volk, aber eure Klugheit wächst über euch hinaus, und ihr vergeßt, daß es andere Völker gibt …«
    »Das hat man euch gelehrt. Wir lernten, daß alle Russen asiatisch verseucht seien und der ideologische Brandherd der Welt. Die Gelehrten, die diese Bücher schrieben und uns das lehrten, haben aber nie die Wolga oder den Don gesehen, die Steppe und Janina …«
    Mit einem jähen Ruck stand sie auf und trat hinter mich. Ihre kleine Hand legte sich unerwartet hart auf meine Schulter.
    »Ich könnte alle Deutschen hassen«, sagte sie leise.
    »Warum, Janina?«
    »Weil ich Sie kennenlernte …«
    Die Hand lag noch auf meiner Schulter. Ich drehte den Kopf zur Seite und küßte ihre Fingerspitzen. Sie fuhr zurück, in ihre Augen trat Angst und eine wilde Gehetztheit … sie riß die Tür auf und lief über den Gang in die Dunkelheit davon. In der Ferne klappte eine Tür. Neben dem Stuhl, auf dem sie saß, lag eine Blume. Eine kleine Buschrose, blaß und schmächtig wie Janina, krank und halb verwelkt.
    Wie gut ist die Nacht. Wie still, wie sanft, wie willig die Gedanken eines schmutzigen deutschen Kriegsgefangenen.
    Ich glaube, daß Gott auch über Rußland blickt …
    Gegen Mittag ging das Gerücht durchs Lager, ein politischer Kommissar aus Moskau habe den Gefreiten Hans Sauerbrunn verhaftet. Karl Georg und Julius Kerner, die dieses Ereignis miterlebt hatten, wußten in ihrer Verwirrung nichts anderes zu berichten, als daß Jakob Aaron Utschomi, der kleine jüdische Dolmetscher, mit dem Kommissar erschienen war und Sauerbrunn einfach mitgenommen hatte in die Kommandantur.
    Der Kommissar Wadislav Kuwakino war ein mittelgroßer, untersetzter Mann mit einem Mongolengesicht. Seine Augen, weit auseinanderstehend und ein wenig geschlitzt durch die asiatischen Fettpolster unter den Lidern, blickten kühl und oftmals gelangweilt, als sei ihm die Welt das Ekelhafteste und der Mensch auf ihr überhaupt nicht wert, beachtet zu werden. Er senkte meist den Kopf, wenn er sprach, und sah auf seine langen, im Gegensatz zu seinem Körper dünnen Finger oder polkte mit dem Nagel der einen Hand unter den Nägeln der anderen.
    Major Worotilow saß mit rotem Gesicht in seinem Zimmer. Unerhört, dachte er. Unerhört, wenn das wahr ist.
    Piotr Markow grinste. Er betrachtete Hans Sauerbrunn wie ein Schlachtvieh und stellte sich vor, wie dieser Deutsche gequält in einem Straflager stöhnte. Kasymmskoje … die Sümpfe … Fieber, Mücken, Wölfe und morastiger Boden …
    Man sollte diese deutschen Schweine ausrotten …
    Hans Sauerbrunn stand mehr erstaunt als verängstigt vor dem großen Tisch des Majors und sah von einem zum anderen. Er trug sein Alltagskleid: die zerrissene Hose, ein offenes Hemd über der behaarten Brust, staubige Stoffschuhe mit Gummisohlen. An den Knien seiner Hose waren zwei runde, schmutzige Flecke … er hatte Karl Georg im Garten geholfen und sich in die Erde gekniet. Er wagte nicht, die Flecke abzuklopfen. Steif stand er vor dem Tisch und blickte Jakob Aaron Utschomi, den Dolmetscher, fragend an. Kuwakino, der Kommissar, polkte in seinen Nägeln. »Sie wissen die Frage,

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