Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
Vom Netzwerk:
sich einfach von ihm hätte führen lassen. Nicht einmal bei gemeinsamen Spaziergängen durch die Stadt hakte sie sich bei ihm unter, sie ging oft sogar einen Schritt vor ihm, sie verließ sich darauf, dass er ihr in der Sprache der Kampfpiloten die Richtung wies und sie vor Hindernissen warnte: »Müllsäcke auf elf Uhr, Entfernung fünf Meter.«
    Er setzte sich neben sie, ihre Arme berührten sich, sie zog ihren weg und überließ ihm die Lehne.
    »Und wann fliegst du morgen?«, fragte sie.
    »Um zehn.«
    »Am Montag lasse ich es machen.«
    Sie sagte es, damit es gesagt war.
    »Was lässt du machen? Doch nicht den Test?« Sie hatten keine Abmachung getroffen, was den Test betraf, und er hatte natürlich befürchtet, dass sie es vielleicht machen würde, während er weg war, einfach, weil die Zeit drängte. Dennoch war er jetzt vollkommen dagegen.
    »Drei Wochen hätte es doch noch Zeit gehabt«, sagte er.
    In aller Ruhe zog sie ihren Mantel aus; sie faltete ihn zusammen und legte ihn sich auf den Schoß. Sie trug einen engen, schwarzen Rollkragenpullover; unwillkürlich suchte Jensen nach einem Anzeichen, einer leichten Wölbung vielleicht. Aber es war nichts zu erkennen.
    »Ich will das hinter mich bringen«, sagte sie.
    »Aber am Montag bin ich nicht hier. Das weißt du doch.« Jensen verstand einfach nicht, was sie damit bezweckte. »Ich möchte nicht, dass du das allein machst. Ich möchtedabei sein. Das ist hier ist ein gemeinsames …« Projekt, hätte er beinahe gesagt. »Dann sage ich die Reise eben ab.«
    »Das könnte dir so passen.« Sie lächelte, immerhin. »Nein. Du fährst nach Island. Diese Reise wird dir guttun. Du warst lange nicht mehr unter Leuten. Du brauchst ein bisschen Gesellschaft.«
    Mit drei Menschen, die er kaum kannte, drei Wochen in einem abgelegenen Haus in Island zu verbringen war doch wohl eher eine gesellige Form der Kerkerhaft. Nicht wegen der Gesellschaft, einzig wegen der Physik hatte Jensen sich zu dieser Reise entschlossen.
    »Jedenfalls möchte ich nicht«, sagte O’Hara, »dass du diese Angelegenheit jetzt zum Anlass nimmst, um dich vor dem Seminar zu drücken.«
    »Es ist doch nur ein Privatseminar«, sagte Jensen. »Das ist etwas anderes. Die Teilnahme ist fakultativ. Und diese Angelegenheit, wie du es nennst, ist mir eben wichtiger. Das wirst du ja sicher verstehen.«
    »Du bist doch stolz darauf, dass du eingeladen worden bist.«
    Ja, er war stolz darauf, stolz auf die persönliche Einladung von Jan De Reuse, Professor für Physik, Universität von Antwerpen, fiat lux, bedenke, du bist nur ein Mensch. Es war kindisch.
    »Herrgott noch mal«, sagte er. »Ich bin einundfünfzig. Ich war fast dreißig Jahre lang Polizist, und jetzt bilde ich mir ein, dass die Physik schon immer meine wahre Berufung war. Das ist doch eigentlich lächerlich. De Reuse hat mich wahrscheinlich aus Mitleid eingeladen.«
    »Psst!«, zischte jemand in der Reihe hinter ihnen, obwohl doch auf der Leinwand erst Werbung für Rachenbonbons gezeigt wurde.
    »Er hat sich wohl gedacht«, sagte Jensen etwas leiser, »dass jemandem, der mit einundfünfzig an einem Volkshochschulkurs für Quantenphysik teilnimmt, bewusst geworden ist, dass sein Leben in eine falsche Richtung gelaufen ist. Andere Männer kaufen sich in dieser Situation eine Jacht.«
    »Seien Sie doch bitte still!«, sagte die Person in der hinteren Reihe.
    »Aber darum geht es jetzt gar nicht«, flüsterte Jensen. »Ich will dich bei diesem Test begleiten. Und vor allem will ich da sein, wenn der Laborbericht kommt. Wie lange dauert das? Wann erfährst du, ob das Kind gesund ist?«
    »Sie sagten, eine Woche. Vielleicht zehn Tage.«
    »Und was, wenn der Befund negativ ist? Nicht im medizinischen Sinn, meine ich. Negativ für uns. Dann wäre ich in Island, in einem Haus, in dem es übrigens nur ein Satellitentelefon gibt. De Reuse sagte, es sei ein sehr altes Modell. Er weiß nicht einmal, ob es noch funktioniert. Dann sitzt du hier, allein, mit diesem Befund, und ich …«
    »Wenn das Kind nicht gesund ist«, sagte O’Hara, »werde ich eine Entscheidung treffen. Sie steht schon fest. Ich brauche dazu deine Einwilligung nicht. Wir sind nicht verheiratet, deine Rechte sind limitiert.«
    Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn auf die Nase, ein Fehlkuss, der in diesem Zusammenhang sarkastisch wirkte; es lag aber einfach daran, dass sie seine Wange nicht sehen konnte. Sie korrigierte sich und küsste ihn diesmal auf die richtige Stelle.
    »Fahr

Weitere Kostenlose Bücher