Der Atem der Angst (German Edition)
unwillkürlich lachen. » Hey, was ist denn mit denen los?«
Breitbeinig nahm Louis einen festen Stand ein und verschränkte die Arme vor der Brust. Er nickte Michelles Eltern zu, als sie vor ihm und Julian stehen blieben, bereit, sich auch noch mit den beiden zu streiten. Dass er sich mit Michelle im Kühlraum traf, wollte er sich nicht verbieten lassen.
Jens lächelte ihn merkwürdig an. » Louis! Kannst du uns helfen, bitte? Leonie ist weg. Hast du sie irgendwo gesehen?«
Louis nahm die Arme runter. » Was soll das heißen, sie ist weg? Seit wann denn?«
» Seit heute Nachmittag. Sie war drüben in der Turnhalle, beim Training.«
» Beim Training?« Louis drehte sich zu Julian um.
Der zuckte mit den Schultern. » Ich habe sie nicht gesehen.«
» Haben Sie die Polizei alarmiert?«
» Ja. Die halbe Stadt sucht bereits nach ihr.« Jens fuhr sich über den Mund. Er war offensichtlich den Tränen nahe. Dann ging ein Ruck durch seinen Körper, er machte noch einen Schritt auf Louis zu und packte ihn plötzlich grob am T-Shirt. » Hast du irgendwas damit zu tun?«
» Hallo? Was soll denn der Mist? Ich liebe Michelle! Wieso sollte ich ihre kleine Schwester verschwinden lassen?!« Louis versuchte, sich loszumachen.
Von hinten zerrte Sarah an Jens’ Jacke. » Lass ihn. Bitte!«
Doch Jens hörte nicht. Er kam ganz nah heran. Er flüsterte: » Ich warne dich. Wenn du da irgendwie mit drinsteckst, werde ich dich töten.«
Louis zuckte nicht mal mit der Wimper. » Sind Sie fertig?« Dieser Typ hatte einen gewaltigen Knall. Warum nur hatten diese Leute Probleme, zu erkennen, wer er wirklich war? Für sie war er der Sohn einer Säuferin, das Überbleibsel einer Familie, über die vor sieben Jahren das Unheil hereingebrochen war. Seitdem fürchteten sich die meisten Leute davor, dass das Unglück auf sie überschwappen könnte. Als hätten er und seine Familie sich ihr Schicksal selbst ausgesucht, als sei es ansteckend. Julian und Michelle waren so ziemlich die Einzigen, die zu ihm hielten. Sie wussten, wer er war.
Langsam griff Louis um Jens’ Pranke, die sich noch immer vorne an seinem T-Shirt festklammerte, und löste sie mit einem entschiedenen Ruck ab. » Nie wieder kommen Sie mir so nah! Ist das klar? Und: Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie wirklich Hilfe brauchen. Dann bin ich da.«
7 . HEIDI
Heidi lenkte den scheppernden Volvo die dunkle Kopfsteinpflastergasse hinauf. Ihr Handy klemmte zwischen Kinn und Schulter. » Winnie-Schatz, wenn deine T.U.F.F.-Puppy- DVD zu Ende ist, schaltest du den Fernseher aus und legst dich ins Bett. Und mach niemandem die Tür auf, wenn’s klingelt. Hast du mich verstanden?!«
» Ja-ha.«
» Niemandem!«
» Ja!«
» Okay, mein Schatz. Hab dich lieb.« Heidi schmatzte dreimal ins Telefon, von hinten schossen zwei Einsatzfahrzeuge an ihr vorbei. Alle waren auf der Suche nach Winnies kleiner Freundin.
Am anderen Ende der Leitung schmatzte ihr achtjähriger Sohn zurück, während im Hintergrund Comic-Explosionsgeräusche zu hören waren. » Gute Nacht.«
Heidi legte auf. Ihr war nicht wohl bei der Sache, dass Winnie alleine zu Hause war. Ein Mädchen in seinem Alter war spurlos verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Wo war es? Lief es hier draußen alleine herum? Versteckte sich Leonie irgendwo? Wollte sie alle nur ein bisschen erschrecken oder war sie einem Wahnsinnigen zum Opfer gefallen? All die grausigen Bilder, die sich Heidi im Laufe ihrer Karriere unwiderruflich ins Gehirn gebrannt hatten, flackerten jetzt wieder auf. Heidi warf ihr Handy auf den Beifahrersitz und fuhr direkt auf ein niedriges Fachwerkhaus zu, das komplett mit einem Baugerüst umstellt war. Vor der flatternden Plane wartete ihr schlaksiger Kollege Henner in hautenger Marathonmann-Montur und roter Regenjacke. Seitdem Heidi vor sechs Monaten nach St. Golden gezogen war, arbeiteten sie zusammen. Aber das Einzige, was sie über Henner wusste, war, dass er aus St. Golden stammte, glücklich verheiratet war, pubertierende Zwillingstöchter hatte und täglich dreißig Kilometer joggte.
Heidi hatte noch nicht am Straßenrand gehalten, da riss er schon von außen die Beifahrertür auf.
» Meine Güte! Momentchen!« Heidi nahm schnell die Thermoskanne und den Apfel vom Sitz und warf alles nach hinten.
Ihr Kollege sprang neben sie. » Wo fangen wir an?«
» Der Suchtrupp ist rund um die Turnhalle, die Unterführung und den gesamten Schlossberg im Einsatz. Ebenso sind etliche Freiwillige unterwegs. Um
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