Der Atem der Angst (German Edition)
Golden.« Louis zog sich nun ebenfalls von dem stark geschrumpften Mädchenkörper zurück und setzte sich neben Maya aufs gelbe Regencape, das sie über das modrige Gras gebreitet hatte. » Wir bringen sie runter und deponieren sie so, dass sie auf jeden Fall umgehend gefunden wird.«
Maya nahm das Jagdmesser zurück und wischte es sorgfältig mit einem der Baumwolllappen ab, die Louis sich von den Händen abgewickelt hatte. Ein eisiges Frösteln durchzuckte ihren Körper. » Du willst sie wieder runter nach St. Golden bringen? Was, wenn sie uns erwischen und wir die nächsten…«
» Uns bleibt nichts anderes übrig«, unterbrach Louis sie, als wollte er unter gar keinen Umständen die Angst in seinen Kopf aufsteigen lassen. » Wenn wir die Ermittlungen der Polizei etwas vorantreiben wollen, müssen wir das tun. Und sollten die in der ganzen Sache mit drinstecken, werden sie zumindest durch diesen Fund aufgescheucht werden.«
Maya nickte nachdenklich. » Vorausgesetzt, die Leiche hat überhaupt etwas mit dem Geheimnis der Clique zu tun, von dem mein Vater gesprochen hat.« Ihr war nicht wohl bei der Sache. » Sollen wir nicht doch besser von hier verschwinden und…«
» Nein.« Louis schüttelte den Kopf. » Das würde einfach nur bedeuten, dass wir unser Leben lang auf der Flucht sein werden. Nirgends werden wir uns sicher fühlen, bis die Widerwärtigen uns irgendwann doch erwischen.«
Maya machte es mit einem Mal Angst, wie entschlossen er wirkte. Es war, als hätte er sich ihre ureigene Entschlossenheit einverleibt. Ungewohnt schwach fühlte sie sich. Gleichzeitig war Louis anzusehen, dass er sich nicht von ihr würde überzeugen lassen, St. Golden und die Wälder zu verlassen. Anders als ihr Vater hatte er ganz offensichtlich nicht vor, zu fliehen und sich zu verstecken. Sie steckte das Jagdmesser zurück in den Gürtel und hörte ihn sagen: » Anschließend gehen wir zu meinem Freund Julian und informieren uns im Internet über den neuesten Stand der Ermittlungen. Ich meine, vielleicht haben wir ja Glück, und die Polizei tappt wider Erwarten mal nicht im Dunkeln.«
» Und wenn er uns verrät?« Maya war beunruhigt. Plötzlich wollte sie ihr altes Dasein mit all seinen kleinen und großen Hindernissen zurückhaben. Sie wollte zurück in die Höhle und sich auf den Winter vorbereiten. Mit einem Mal erschien ihr die Zukunft noch ungewisser und gefahrvoller als ihre Gegenwart.
Louis sah sie irritiert an. » Julian? Wieso sollte der uns verraten? Er ist mein bester Freund.«
Sie zuckte mit den Schultern. » Tja. Hat dieses Mädchen damit gerechnet, dass ihre besten Freunde sie erschießen?«
Louis seufzte. » Was schlägst du also vor?«
» Ich finde, wir sollten direkt aufs Sägewerksgelände und prüfen, ob es sich bei dem Karohemdjungen tatsächlich um einen der Söhne des Besitzers handelt. Wenn dem so sein sollte, werden wir ihn nach damals befragen.«
» Aber wenn er auch einer der Widerwärtigen ist? Jeder könnte dazugehören. Vergiss das nicht!« Louis blickte Maya durchdringend an, der in diesem Moment bewusst wurde, dass sie sich weit entfernt vom Schutz der Bäume aufhielten. Sie hatte für ein paar Augenblicke vergessen, all ihre Sinne auf lauernde Gefahren auszurichten. Sie hockten mitten im Gras, ohne Möglichkeit, ungesehen zu flüchten. Vielleicht wurden sie längst beobachtet.
Sie nickte wie aufgezogen. » Wir sollten hier dringend verschwinden. Lass uns das später überlegen.«
» Später?« Louis schüttelte den Kopf. » Ich werde hier nicht tatenlos im Wald rumhocken, okay?«
» Ich weiß.« Maya atmete aus. Sie wollte hier weg. Zurück in den Wald. » Mir kommt es momentan nur so sinnlos vor. Als würden wir einem Albtraum hinterherjagen.« Maya erhob sich, richtete sich aber nicht ganz auf, um nicht höher als die Gräser zu sein. Sie ließ ihren Blick forschend über die Halmspitzen schweifen, hinüber zum Waldrand. Nichts regte sich.
» Gib nicht auf!«, flüsterte Louis hinter ihr. » Ich bitte dich! Gib nicht auf!«
Stumm blickte Maya auf die menschlichen Überreste von Birgit, die im platt getretenen, gelblichen Gras lagen. Die paar Knochen, die einmal ein Mädchen gewesen waren. Louis’ Worte hallten in ihrem Kopf. » Ich will aber nicht sterben«, wisperte sie schließlich.
Louis war näher herangekommen und legte seinen Arm um Mayas Schulter. Sein Gesicht war ganz nah an ihrem. Er sah ihr fest in die Augen. » Das musst du auch nicht. Das verspreche ich
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