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Der Atem der Angst (German Edition)

Der Atem der Angst (German Edition)

Titel: Der Atem der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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dir.«
    Maya sagte nichts mehr. Sie wartete, bis Louis die menschlichen Überreste in ihr altes Regencape gelegt hatte und das gelbe Bündel schulterte. » Kommst du?«
    Schweigend liefen sie geduckt hintereinander her, Richtung Waldessaum. Hand in Hand. Und mit einem Mal, mit jedem ihrer gemeinsamen Schritte, floss Mayas Entschlossenheit zurück in ihren Körper.
    Sie würde Louis begleiten. Hinunter in die Stadt. Dorthin, wo das Böse lauerte. Als seine mutige Weggefährtin. Als Kämpferin. Als Rächerin. Seite an Seite mit Louis. Sie war bereit zu töten. Oder zu sterben.

56 . HEIDI
    » Was hast du dir nur dabei gedacht?« Heidi lehnte am Küchentresen. Die Arme vor der Brust verschränkt, starrte sie ihren Sohn wütend an, der, ebenfalls wütend, am Küchentisch saß. » Ich hatte ausdrücklich gesagt, dass du niemandem die Tür aufmachst.
    » Genau das hab ich gemacht!« Winnie gab seiner Cornflakesschüssel einen bockigen Schubs, sodass die Milch über den Rand schwappte und eine weiße Lache auf dem Küchentisch hinterließ.
    » Ach, ja? Und wie kam dann dieser Mann in unser Haus? Kann er durch geschlossene Türen gehen?«
    » Sehr witzig!« Winnie warf seiner Mutter einen richtig düsteren Blick zu. Und sie wusste genau, dass sie ihm eigentlich keine Vorwürfe machen durfte. Sie war es, die sich nicht an Vereinbarungen gehalten hatte. Dennoch sagte sie. » Ich dachte, ich kann mich auf dich verlassen!« Heidi drehte sich um und goss sich aus der Kaffeemaschine einen starken Kaffee ein.
    Es war kurz vor acht. Und sie war total übernächtigt. Wieder einmal war es gestern spät geworden, wieder einmal hatte sie Winnie suchen müssen, bis das Präsidium angerufen hatte, um ihr mitzuteilen, dass ihr Sohn dort auf sie wartete.
    Sie sagte: » Du kannst doch nicht einfach mit einem Mann mitgehen, den du nicht kennst!«
    Hinter ihr schimpfte Winnie. » Was kann ich denn dafür, wenn du unseren Zettel nicht findest, den wir dir unter die Matte geklemmt haben? Du kannst froh sein, dass er mich ins Präsidium gebracht hat.«
    Um klar im Kopf zu werden, stürzte Heidi sich den Kaffee hinunter und goss sich noch einen ein. Sie mochte nicht, wenn ihr Sohn so mit ihr sprach. Irgendetwas an seiner Stimmlage verriet ihr, dass er sie langsam nicht mehr als Mutter ernst nahm.
    Sie setzte die Tasse ab und fragte mindestens ebenso entrüstet: » Und was kann ich dafür, wenn der Zettel da nicht mehr klemmte? Vielleicht hat dieser Mann, dem du gar nicht die Tür aufgemacht hast, ihn gar nicht unter den Fußabtreter gelegt?!«
    Winnie zuckte mit den Schultern und setzte unbeirrt seine Ausführungen fort. » Er heißt Niemand. Verstehst du das nicht? Das ist sein Name. Ich habe Niemand die Tür aufgemacht. So, wie du es gesagt hast. NIEMAND ! Außerdem kennst du ihn.«
    » Was?« Heidi fuhr herum. » Woher?«
    » Aus dem Internat.«
    » Bitte?«
    Ihr Sohn grinste triumphierend, als sei er von ihnen beiden der Kommissar und habe ein Detail aus ihrem früheren Leben ermittelt, das er ihr jetzt vorhielt. » Ihr seid früher zusammen aufs Internat gegangen. Und: Mama! Du hast ihn nicht so gut behandelt, hat er gesagt.«
    » Wieso sollte ich ihn nicht gut behandelt haben?«
    » Du hast ihn schlimm gehänselt, weil er keine Hand mehr hatte. Weil er damit in eine Säge gekommen ist.«
    »Was?« In diesem Moment verstand sie, wonach ihr Unterbewusstsein suchte, seit sie mit Henner bei Birgits Mutter gesessen hatte. Der Sohn vom Sägewerker. Der Junge ohne Hand! Der stille Junge aus ihrer Klasse, ein paar Bänke vor ihr! Konnte es sein, dass sie jemanden aus St. Golden kannte, ohne sich daran zu erinnern? Ging es bei der Sache hier womöglich um sie? War es so schlimm, was sie ihm damals angetan ha tte ? » Hatte sein Vater etwa ein Sägewerk, hier in St Golden?«
    » Ja-ha!« Winnie rollte mit den Augen. » Wir haben den alten Mann sogar im Pflegeheim besucht, als du nicht nach Hause gekommen bist. Da kannst du mal dankbar sein, dass sich Niemand um mich kümmert, sonst…«
    » Und was habt ihr bei seinem Vater gemacht?«, unterbrach Heidi ihren Sohn, während ihr die ganze Geschichte dieser Sägewerksfamilie einfiel, so wie sie Henner erzählt hatte. Der Zwölfjährige, der sich erhängt hatte. Der Vater, der sich in den Kopf geschossen hatte und seitdem in einem Pflegeheim lag. Dann musste dieser Niemand der andere Sohn sein. Das war das Puzzleteilchen, nach dem sie gesucht hatte! Da war es! Winnie hatte es ihr quasi auf dem

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